Rund um den Elfenbeinturm und dann mitten hinein
von Brigitte Caster
Der Elfenbeinturm ist ein Paradebeispiel für die Mißverständlichkeit der Sprache. Jeder glaubt zu wissen, was er darunter zu verstehen hat, und jeder hat ein anderes Bild von dem, was er zu verstehen glaubt. Das zeigt am besten unsere Briefaktion: Obwohl nur Einrichtungswünsche für einen fest umschriebenen Entwurf verlangt waren, gab sich kaum einer der zukünftigen Bewohner damit zufrieden, sich auf die Einrichtung zu beschränken. Da wurden Umbaumaßnahmen verlangt, der Standort wurde in Frage gestellt (bei der Lage in Kassel kein Wunder . . .) und Außenanlagen zum Schutz vor Eindringlingen entworfen, kurz, jeder versuchte, dem feilgebotenen Elfenbeinturm seine ganz persönliche Note zu geben, ihm Unverwechselbarkeit zu verleihen und ihn zur höchstpersönlichen Erweiterung der eigenen Persönlichkeit zu machen. Aber ginge es bei den verschiedenen Vorstellungen um reine Äußerlichkeiten und Geschmacksfragen, wäre es an sich kein so großes Problem, mit dem Phänomen Elfenbeinturm fertig zu werden.
Aber so einfach ist es eben nicht. Vor uns liegt eine wahre Entdeckungsreise, wir werden uns mit der Bibel und mit Maria, mit Geschichte, Architektur und der leidigen Psychologie auseinanderzusetzen haben, und wir werden am Ende dieser Reise mit mehr Verstand als Glück ein klein wenig näher an dem Wesen dessen sein, wofür der Begriff ‘Elfenbeinturm’ fast nur ein mangelhaftes Stichwort ist.
Die Geschichte unseres Begriffes beginnt standesgemäß in der Bibel, präziser im Hohen Lied König Salomos, wo es heißt:
“Deine zwei Brüste sind wie zwei Kitzen,
wie Zwillinge einer Gazelle.
Dein Hals ist wie ein Elfenbeinturm.
Deine…