Rudolf Zwirner
Ich bin in Berlin geboren und auch zur Schule gegangen, bis mein Vater aus politischen Gründen von der Universität gewiesen wurde. Zum Glück war er außer Philosoph auch Mediziner und brauchte nicht arbeitslos zu sein. Wir zogen nach Braunschweig, wo er sich als Nervenarzt niederließ. Meine Eltern hatten keine besonderen künstlerischen Ambitionen. Mein Vater war Geisteswissenschaftler, seine Leidenschaft galt Büchern. Beim Buchhändler hatte er immer Schulden. Bilder brauchte er nicht, höchstens schaffte er nach einem Museumsbesuch eine Reproduktion an. Das brachte mich immer auf die Palme, denn in Braunschweig konnte man für 200 Mark Nolde oder Kandinsky kaufen.
Ich hatte Interesse an Kunst und sah Ausstellungen, ich erinnere mich an eine große Picasso-Schau in Hamburg. Aber das ganz große Erlebnis war die documenta 1955 in Kassel. Ich war fasziniert. Als ungebetener Gast schloß ich mich einer Gruppe von Rotariern an, die der Freiherr von Butlar durch das Fridericianum führte. Er machte das mit so profunder Kenntnis und mit so viel Charme, daß ich plötzlich meine Berufsvision vor mir hatte: Sowas wollte ich auch machen, Ausstellungen moderner Kunst arrangieren und dem Publikum erklären. Die Führung dauerte bis abends 9 Uhr, und noch in der Nacht fuhr ich zurück nach Freiburg, wo ich Jura studierte, und brach meine Zelte ab.
Aber wie sollte es nun weitergehen? Eine kunsthistorische Ausbildung lag mir nicht. Die Erforschung der alten Niederländer war nicht mein Ziel. Ich suchte vielmehr die Nähe zur Praxis und den Umgang mit zeitgenössischer Kunst.
Meine Eltern trugen meinen Studienabbruch gefaßt, mein Vater fand Juristen…