Johannes Meinhardt
Rudolf Schlichter
Gemälde · Aquarelle · Zeichnungen
Kunsthalle Tübingen, 13.9. – 23.11.1997
Von der Heydt-Museum, Wuppertal, 7.12.1997 – 1.3.1998
Städtische Galerie im Lenbachhaus, München, 11.3. – 10.5.1998
Das Leben und das Werk von Rudolf Schlichter – 1890 in Calw (wie Hermann Hesse) geboren, in der engsten schwäbisch-pietistischen Provinz – sind auf mehreren Ebenen paradigmatisch für das Deutschland der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts: für eine Generation, die wie kaum eine andere Generation vor ihr extrem widersprüchliche gesellschaftliche Erfahrungen gemacht, die starke soziale Verschiebungen erlebt, die ihre Ängste, Lüste und Obsessionen mehrfach gewechselt und vor allem den Zusammenbruch verschiedener inbrünstig geglaubter Ideologien erlebt hat. Schlichter, zeitlebens gejagt von erotischen Obsessionen, von einer intensiven Faszination durch Gewalt, vom Masochismus und vom Stiefelfetischismus – die aber selbst schon für das Bürger- und Kleinbürgertum des späten Kaiserreichs und um so mehr der Weimarer Republik sehr typisch waren, das von Phantasmen der proletarischen Gewalt, der Gewalt ungebändigter Animalität und der Gewalt entfesselter Weiblichkeit überschwemmt war -, wurde gerade in seinen Themen und Sujets, seinen Konversionen und seinen ideologischen Umschwüngen zu einem herausragenden Seismograph der psychischen Lage des deutschen Bürger- und Kleinbürgertums.
Denn Schlichter, der ebenso Schriftsteller wie Künstler war, artikulierte in seinen künstlerischen und literarischen Produktionen mit radikalem Freimut seine obsessionelle innere Welt. Seine Bücher “Zwischenwelt. Ein Intermezzo”, 1931, “Das widerspenstige Fleisch”, 1932, und “Tönerne Füße”, 1933, waren rücksichtslose Autobiographien, deren skandalisierende Wirkung so stark war – obwohl Schlichter, ein Freund Ernst Jüngers, sich spätestens seit 1929 als überzeugten Nationalisten verstand -, daß die beiden letzten Bücher…