Roger Welch
geb. 1946, lebt in New York
Niemals erfundene Geschichten
Jochimsen: Ist es wichtig, daß die unter den Fotos festgehaltenen Erinnerungen von den auf den Fotos abgebildeten Personen handgeschrieben sind?
Welch: Aus drei grundlegenden Erwägungen ist es wichtig, daß die Texte handgeschrieben sind. Erstens bedeutet es, daß die Person persönlichen, physischen Kontakt mit der fertigen Arbeit gehabt haben mußte. Zweitens ist die Handschrift jeder Person einzigartig und kann viel über sie aussagen. Drittens hat die Handschrift die Qualität einer Zeichnung, die optisch interessanter ist als es Druckschrift in diesem besonderen Zusammenhang sein würde.
Jochimsen: Verwenden sie immer nur Fotos von Personen, die Sie kennen oder nehmen Sie auch Fotos von unbekannten Personen und erfinden dann Geschichten dazu?
Welch: Ich würde niemals “Erinnerungsgeschichten” erfinden!!! Der wesentliche Teil meiner Arbeit ist die persönliche, physische Einbeziehung anderer Leute. Das wird durch die Tatsache betont, daß, wenn eine Person auf einem der Fotos tot ist, ich für sie eine freie Stelle auf dem Blatt lasse. Ich möchte ebenso betonen, daß alle Fotoarbeiten dieser Art mit meiner Familie gemacht wurden.
Meine letzte Ausstellung allerdings bezog alte Leute mit ein, die ich erst einen Monat vor der Ausstellung kennengelernt hatte. Beide Typen von Arbeiten jedoch befassen sich mit Leben, Zeit, Ort und Erinnerung.
Jochimsen: Können Sie diese Arbeit mit älteren Leuten etwas genauer umreissen?
Welch: In meiner neueren Arbeit habe ich versucht, die Erinnerungen von vier älteren Leuten an die Orte, wo sie als Kinder lebten, zu materialisieren – visualisieren. Die Leute sind alle über 80 Jahre alt und die Erinnerungen, die ich…