Renate Puvogel
Robert Irwin
Kölnischer Kunstverein, 15.3. – 15.5.1994
Marianne Stockebrand verabschiedet sich als Leiterin des Kölnischen Kunstvereins mit einem überraschenden, leisen, dennoch vernehmlichen, lang nachhallenden Paukenwirbel: Mit Robert Irwin stellt sie einen bedeutenden, in Europa weitgehend unbekannten Künstler vor. Bemerkenswert ist nicht nur die Tatsache, daß mit der Ausstellung des 1928 in Long Beach, Kalifornien, geborenen Künstlers ein Versäumnis nachgeholt wird, vielmehr ist die Präsentation an sich ein Ereignis: Irwin hat es fertiggebracht, seine Retrospektive mit einer für diesen Raum geschaffenen Installation so zu verbinden, daß beide Teile eng miteinander verzahnt sind und sich gegenseitig belebend stützen. Die Installation in Gestalt einer übersichtlichen Gliederung des langgestreckten Raumes mit Hilfe von jeweils sechs nach beiden Seiten hin geöffneten Kabinetten aktiviert die in ihnen vorgeführten Kunstwerke dergestalt, daß der retrospektive Charakter der Ausstellung zurücktritt und es zu einem vielfältigen Interferieren sämtlicher Teile kommt. Dies entspricht Irwins Intention, die Kunst als einen fließenden, sich stets erneuernden Prozeß fortgesetzter Untersuchung (pure inquiry) zu begreifen. Er glaubt nicht an direkte politische Einflußnahme durch die Kunst, aber vertraut auf deren bewußtseinsverändernde Kraft. Kunst antwortet wechselnden geschichtlichen Gegebenheiten mit Vorschlägen, welche ihrerseits neue Wahrnehmungsmöglichkeiten und damit Wandlungen ermöglichen (Art in response).
Die Ausstellung bietet reichlich Nahrung, intensiver zu sehen und zu empfinden. Irwin kostet das von oben und den Seitenfenstern hereinströmende Tageslicht restlos aus, so daß der Raum von Helligkeit gesättigt ist, Wände und Objekte in unterschiedlichen Weißnuancen aufleuchten. Mit weißer Gaze bespannte Rahmen ersetzen stabile Stellwände; das semitrans-parente Material eignet sich besonders gut, Stofflichkeit nahezu in Licht aufzulösen,…