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Titel: Konstruktionen des Erinnerns · von Georg Christoph Tholen · S. 142 - 146
Titel: Konstruktionen des Erinnerns , 1994

1. Emanzipation versus Tradition: Krise der Archive?
Risse im Zeitgefüge

Von Georg Christoph Tholen

Die Demontage von Zeit und Geschichte nimmt – und findet – kein Ende. In jüngster Zeit scheinen sogar die naturwissenschaftlichen wie philosophischen Zeitbegriffe, die unversöhnlich einander gegenüberstanden, fragwürdig und ihr transzendentaler Rahmen fragil geworden zu sein. Doch strittig bleibt hierbei, ob die Zeit selbst sich verliert, d.h. den eindeutigen Richtungssinn ihres Ablaufens oder Verlaufens aufgibt, oder ob vielmehr lediglich die fixierte Form der Vorstellung, mit der wir die Fluchtlinien der Zeit einzukreisen gewohnt waren, brüchig wird.

Tempus fugit. Diese althergebrachte Metapher des beständigen Vergehens der Zeit gewinnt in der zeitgenössischen Debatte einen paradoxen, mehrfältigen Sinn, wenn das in dieser Metaphorik unbedachte dominante Bild des Zeitlichen selbst hervortritt und lesbar wird: So gilt etwa der stetige Fluß oder Strom der Zeit – Inbegriff des unablässigen Verfließens und ewig währenden Zerrinnens – als der an sich selbst unwandelbare Index zeitlicher Bewegung. Doch eben diese klassische These der zeitlosen Dauer und des rätselhaften Privilegs der Gegenwart markiert jene Zeitstelle, die nun mehr zu denken gibt, jenseits der Aporie von Ewigkeit und Vergänglichkeit, in der sie und als die sie gleichwohl das Zeitdenken stets irritierte.

Zeit heute1 heißt also, die Metaphysik der Präsenz daraufhin zu befragen, was ihre eigene Metaphorik stillschweigend unterstellt – oder anders: was ihr um so mehr unfaßbar bleibt: der Entzug oder Abgrund einer Unzeit, die lineare oder kreisförmige Zeitvorstellung unterbricht bzw. in diese einbricht. So erst zeigt sich, daß das Gesetz des haltlosen Vergehens den distanzierten Blick auf die haltlosen…


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von Georg Christoph Tholen

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