Jürgen Kisters
Rirkrit Tiravanija
Kölnischer Kunstverein, 6.11.1996 – 19.1.1997
Die Probleme der gegenwärtigen Gesellschaft treten überall offen zutage: Wohnungsnot, Obdachlosigkeit, eine wachsende Kluft zwischen armen und reichen Menschen, zunehmende soziale Kälte, fehlende Ideale und Orientierungen, steigende Beliebigkeit in allen Belangen und der Verlust einer ernsthaften öffentlichen Diskussion über all diese Phänomene. In einer solchen Situation kann auch die Kunst nicht mehr so tun, als wäre alles wie immer und die üblichen Museumspräsentationen der beste Weg, um mit den Mitteln der Kunst einen belebenden gesellschaftlichen Beitrag zu leisten. Immer wieder hat die Kunst nach angemessenen Konzepten gesucht, ist auf die Straße gegangen, hat den vertrauten Rahmen gesprengt, die althergebrachten Orte verlassen und unerwartete Territorien aufgesucht, um zu vermeiden, was offenbar immer wieder unvermeidlich ist: daß sie ihre vitale Kraft und gesellschaftliche Brisanz verliert und in erstarrten Formen kilometerweit dem hinterherhinkt, was gerade in der Gesellschaft im Gange ist. In diesem Zusammenhang steht das jüngste große Projekt des Kölnischen Kunstvereins: “Untitled 1996 (tomorrow is another day)”, “Ohne Titel (morgen ist ein anderer Tag)”. Sagt das einerseits, man solle sich auf das Heute konzentrieren, bedeutet es andererseits, daß ein Kunstwerk kein Ding für die Ewigkeit ist, sondern etwas, das entsteht und wieder verschwindet.
Der thailändische, in den USA lebende Künstler Rirkrit Tiravanija (geb. 1961) hat den grundrißgetreuen (künstlerischen) Eins-zu-eins-Nachbau seines New Yorker Appartments mitten in die Räume des Kölnischen Kunstvereins hineingebaut und der Öffentlichkeit rund um die Uhr zugänglich gemacht. Zweieinhalb Monate war dort ein offenes Haus und nichts von dem vorzufinden, was einen sonst in…