Richard Tuttle “Drawing Books”
Galerie Hubert Winter, Wien
Für die Kunst Opfer zu bringen, Risiken einzugehen, alles andere hintanzustellen, das sollte man nur tun, wenn man dabei das ganz große Herzklopfen hat, sagte unlängst Hubert Winter, einer der engagiertesten Kunsthändler Wiens. Bei Richard Tuttle’s “Drawing Books” hatte er dieses Herzklopfen. Und nicht nur er. Die Tuttle-Schau hat in Wien etwas bewegt, Bewußtsein sensibilisiert, Denk- und Empfindungsprozesse bei Kunstpublikum wie bei Künstlern in Gang gebracht.
Sie sind ganz klein und scheinen harmlos zu sein, diese Schöpfungen, Zeichnungen, Kürzel, in Buntstift und Aquarell, aber es wohnt ihnen eine Konzentration inne, eine stille Ansammlung von Kraft, die Bedeutung hat. Etwas Selbstverständliches, etwas vom Wunder eines hilflosen Kindes ist darin, vom Abstand-Nehmen von großen Gebärden, vom Heraussteigen aus dem falschen Pathos, vom Durchsichtigwerden für das, was wirklich geschieht. Die Welt scheint still zu stehen in diesen Hervorbringungen.
Da sind Girlanden, Rinnsale, Flecken, Quasten, Blüten, eidetische Muster eines fremden Gartens in rosa, blau, orange, grün und schwarz, bald exakt, dann wieder beiläufig. Knoten, Kringel, Bögen, keine Symbole, keine Spuren von irgendetwas, sondern ganz emanzipierte Phänomene, die zwar mit Tuttles Vorstellungen zu tun haben – etwa mit der von Freundschaft – aber frei für sich bestehen.
Zum Unterschied von den lauten Werken des Expressionismus oder der Pop Art, aus denen Energie herausströmt, kumuliert sie in Tuttle’s zarten Blättern, bis der Augenblick kommt, in dem Raum in Zeit umschlägt. Das kommt nicht von ungefähr. Tuttle geht anders an den künstlerischen Schaffensprozeß heran als die meisten seiner Kollegen. Für ihn ist nicht seine…