Martin Blättner
Richard Lindner (1901-1978)
Retrospektive
Haus der Kunst, München, 7.2. – 27.4.1997
»Es gibt niemanden in Amerika, der genau so malt. Ich gehöre zu keiner Bewegung. Ich bin kein Popkünstler.« (Lindner 1974)
Das mörderische Korsett mit dem metallischen Charme einer verzierten Kühlerhaube hat Wappencharakter. Gegurtet und geschnürt, in steifer Geradheit hochgereckt, triumphiert die fetischisierte Eva mit weiblichen Waffen: sozusagen mit der kompletten Heraldik der Verführung. Die sich mitunter geradezu phallisch gebärdende Phantasie in der Lindnerschen Puppenwelt gebiert faszinierende Sex-Monster: um zweideutige Konstrukte handelt es sich insofern, als sie einerseits den Voyeur-Blicken des Mannes ausgeliefert sind (der so dargestellt wird, als ob er unter Zwang stünde), andererseits selbst bedrohlichen Zwang auszuüben scheinen. Die unbewußten Anteile in der Kunst von Richard Lindner verweisen auf zwischenmenschliche Entfremdung und damit auf einen “kritischen Realismus”, der sich allerdings als durchaus ambivalent entpuppt und deshalb nur schwer vom Kontext einer affirmativen Pop-art trennen läßt. Diese Dominas in Strapsen und in Korsagen, die – als Täter und Opfer zugleich – in einem grotesken Theater der Halbwelt von clownesk aufgeplusterten Typen, Gangstern und Ganoven oder auch fettleibigen Wunderkindern umgeben sind, kommentieren fast eine Begehrlichkeit, wie sie von den Medien propagiert wird. Doch die Kunst von Richard Lindner ist viel zu komplex, als daß es allein um die Frage ginge, ob seine provokative Bildsprache zu einer Desillusionierung der gesellschaftlichen Verblendung beitragen würde. Weder gibt der Freudsche Symbolismus erschöpfend Auskunft, noch muß hauptsächlich diskutiert werden, wie das Werk im kunsthistorischen Kontext einzuordnen ist. Einzelgänger wie Lindner, die im 20. Jahrhundert keiner Gruppe…