Christian Borngräber
Rezeptionsästhetik der beweglichen Güter
“1986. Das neue deutsche Möbeldesign wird Medienthema”, heißt es in der Zeittafel zu Gerd Seiles Buch “Design-Geschichte in Deutschland”, das 1987 in erweiterter Fassung den Band des Jahres 1978 ersetzte, der den Untertitel “Entwicklung der industriellen Produktkultur” trug. Der jetzige signalisiert mit “Produktkultur als Entwurf und Erfahrung” eine veränderte Sichtweise auf das deutsche Design, d. h. Produktdesign wird nicht länger ausschließlich vom Industriedesign herkommend definiert, und Möbelunikate sowie Kleinserien werden ins Nachdenken über das deutsche Design miteinbezogen. Seiles Betrachtungen sind signifikant, nicht nur über, sondern auch für die Produktkultur. Jahrzehntelang gehörte deutsches Design zu dem Bereich der Formgestaltung, der am ehesten durch technische Entscheidungsprozesse gesteuert und rational ausgerichtet ist. Diese Einseitigkeit bestimmte mit wenigen Ausnahmen bis in die Mitte der achtziger Jahre auch die Lehre an den deutschen Hoch- und Fachhochschulen, die pro Kopf der Bevölkerung mehr Designstudenten ausbilden als jedes andere europäische Land. Andreas Brandolini faßte seine Skepsis folgendermaßen zusammen: “Das Industriedesign ist in den letzten zwanzig Jahren von einer experimentierfreudigen, dynamischen Profession zu einem – fast ausschließlich – von Produktionstechniken und Marketingstrategien dominierten Handwerk degeneriert. Vorbei ist es mit den gesellschaftlichen Utopien oder Phantasien, denen der Designer Form verleiht und an denen der Konsument Freude empfindet, die über den reinen Gebrauchswert hinausgeht.” Unter dem Titel “Das deutsche Avantgarde-Design. Möbel, Mode, Kunst und Kunstgewerbe” zeigten wir vor drei Jahren im “Kunstforum” Bd. 82, wie sehr am Anfang der achtziger Jahre die Zeit reif war für einen erweiterten Designbegriff, der sich nicht vollkommen dem Druck technischer…