Martin Pesch
Reservate der Sehnsucht
Ehemalige Unionsbrauerei, Dortmund, 21.8. – 4.10.1998
Es ist ein alter geräumiger Lastenaufzug und er bewegt sich ganz langsam, “aber sicher”, wie der Aufzugswärter betont. Diese Gemächlichkeit vermittelt das Gefühl, daß man den alltäglichen Abläufen, in denen alles auf reibungsloses Funktionieren ausgerichtet wird, enthoben ist. Tatsächlich befindet man sich in einem Gebäude mit großer Vergangenheit und ungewisser Zukunft, das ziemlich ramponiert mitten in Dortmund liegt: das mächtige Haus der Unionsbrauerei, wegen des großen, beleuchteten Anfangsbuchstaben auf der Spitze des Turms gemeinhin nur “U” genannt. Das Bauwerk ist eines jener im Ruhrgebiet zahllosen Zeugnisse der Industrialisierung, ins Abseits geraten durch den sogenannten “Strukturwandel”. Die Kommunen haben mit diesen “Denkmälern” (nicht nur an der Ruhr) gewöhnlich mehr Probleme als Freude. Sie sind einerseits wichtig als identitätsbewahrende Marksteine in der Stadtlandschaft, andererseits teure Ruinen. Dieses Dilemma wird vielerorts mit Hilfe der Kultur gelöst. Sie werden zu Erlebnisstätten, in denen Gastronomie, Kleinkunst und leichte Muse einen Raum, ein “Reservat der Sehnsucht” finden, Orte der im gesellschaftlichen Alltag verschwindenden Fluchtpunkte.
Durch ihren Titel nimmt diese Gruppenausstellung, an der 33 internationale Künstler teilnehmen, diese Problematik auf. Die Organisatoren, die Kultur Ruhr GmbH und der unabhängige Verein hartware Projekte e.V., bilden gegenüberliegende Pole der Kultur- und Kunstvermittlung. Geht es den einen um die Repräsentanz öffentlich wirksamen Zugriffs von Land und Kommune, haben die anderen eher einen kritischen, vorgefundene Strukturen unterlaufenden Anspruch. Iris Dressler, die gemeinsam mit Hans D. Christ die Ausstellung kuratierte, macht in ihrem Katalogbeitrag klar, daß Kunst sich heute aus dieser Zwickmühle nicht befreien…