Heinz Thiel
Renate Anger
Kunstverein Giannozzo, 6.6. – 29.6.1990
Der Titel ist “Wand und Boden”, das Thema ist der Raum. Renate Anger (1943 geboren) hat mittels Farbe die beiden für Ausstellungen nutzbaren Räume verändert. Ihr Eingriff ist minimal gewesen, nicht einmal tatsächlich ein Eingriff im Wortsinne. Im Grunde hat sie Formation und Deformation des (Raum-)Volumens präsentiert. Farbe und die Materialität von Farbe ist ihr Arbeitsmittel.
Der Kunstverein Giannozzo, der sich der plastischen Kunst verbunden fühlt, wo sie über den herkömmlichen Begriff der Skulptur hinausgeht, verfügt über einen ebenerdigen Raum mit großer Schaufensterscheibe und einen unverputzten Kellerraum mit einer kleinen schwachen Tageslichtquelle. Man sieht und spürt, daß die Räume ursprünglich für einen kleinen Laden konzipiert waren. Eine ausgetretene Holztreppe, die unter einem Bodendeckel in den Keller führt, hält diese Vergangenheit lebendig. Sie nimmt den Räumen in gewissem Sinn ihre Aktualität. Die künstlerischen Aktionen und Installationen geben den beiden Räumen ihren Zeitbezug, aber Aktualität gewinnen sie als Räume dadurch nicht. Die Räume derart als Skulptur zu empfinden, auch mit ihrem Zeitbezug (der für Giannozzo eines wesentliches Element der raumbezogenen künstlerischen Arbeit ist), ist das Verdienst und das Ergebnis dieser Ausstellung von Renate Anger.
Wer die Giannozzo-Räume schon länger kennt, wurde immer durch die gedämpfte Leere des Raumes (angestaubt helle Wände) zum Betreten ‘genötigt’. Jetzt geht man an der Fensterfront vorbei, und selbst ein Blick ins Innere animiert nicht zum Eintritt. Renate Anger hat die drei Wandflächen hinter der gläsernen Front mit Goldocker gestrichen, und diese Farbe ‘schließt’ den Raum. Man betritt ihn nicht mehr, man dringt…