Relektüren
Folge 43
Rainer Metzger
Am Wiener Judenplatz steht seit dem Jahr 2000 ein Kubus aus Beton, der als Mahnmal dient. Rachel Whiteread hat das Stück Kunst im öffentlichen Raum ersonnen, es soll im gleichmäßigen Überzug eines Rasters aus Fugen an eine Bibliothek gemahnen, die, wie bei der Künstlerin üblich, in inverser Darbietung erscheint. In der Uniformität der zementenen Platten ist es dabei ein Mausoleum des Brutalismus, das sich deutlich der architektonischen Sprache jenes Regimes bedient, an deren Barbarei es erinnert. In die Plinthe eingelassen sind Namen von Orten, an denen diese Barbarei zu schrecklichster Erfüllung kam, Theresienstadt, Sobibor, Auschwitz, die Endhaltestellen jener Züge, die ihren Ausgang nicht zuletzt von Wien nahmen. Bereits ab 1938, gleich mit Beginn des sehr freiwilligen Anschlusses Österreichs an Nazi-Deutschland, waren von Wien aus Deportationen eingeleitet worden, die Juden-Transporte, zunächst noch nicht in die Vernichtung, aber die Wegschaffung war doch ein Präzedenzfall. Die Voraussetzung für die fabrikmäßige Auslöschung von Menschen war im industriellen Kalkül, in der perfekten Logistik, in der bürokratischen Rationalität, mit der hier Tabula Rasa gemacht wurde, jedenfalls ausgelotet. Der Organisator der Aktionen, die das Ideal des „Judenfrei“ herzustellen suchten, hatte sich dadurch schnell für höhere Aufgaben empfohlen. Von Berlin aus verrichtete er seine Arbeit dann in europaweitem Ausmaß mit dem bekannten Ergebnis. Der Name dieses Chefplaners, der seinen Schreibtisch für sein blutiges Werk niemals zu verlassen brauchte: Adolf Eichmann.
Eichmann hatte sich nach dem Ende seines Regimes nach Argentinien retten können. Seine splendide Nachkriegszeit war, wie man heute weiß, den Geheimdiensten durchaus nicht unbekannt. 1960…