Rainer Metzger
Relektüren
Folge 5
Meine Entschiedenheit in dieser Sache rührt vielleicht daher, daß ich, wie viele Autoren der neuen Linken, im vergangenen Jahrzehnt dem Irrtum erlegen war, die Wiedereinrichtung lokaler Gemeinschaften bilde den Angelpunkt für die politische Erneuerung der Gesellschaft als Ganzer” (S. 373). Mitten in den Kenntnis- und Detailreichtum seiner Ausführungen hat Richard Sennett einige Abschnitte gepackt, die einem Geständnis gleichen. Er war, so bekennt er, einer Hoffnung auf den Leim gegangen, die im Gefolge von 68 viele nicht ungerührt ließ, und hatte vom Aussteigertum geträumt, vom Dasein in der Kommune, vom gegenkulturellen, alternativen, unkonventionellen Leben in meistens ländlichen Mini-Sozietäten. Dieser Traum von der Gemeinschaft war, das erkannte Sennett jetzt, utopisch, und zwar regressiv utopisch. Mit dem Gleichheits- und Homogenitätswahn des Gemeinschaftlichen ließ sich buchstäblich kein Staat machen. Gerade 31 Jahre war Sennett damals, 1974, als sein Buch “The Fall of Public Man” im amerikanischen Original erschien. Sein Werk erzählt die Geschichte einer intellektuellen wie sozialen Läuterung.
Auf deutsch trägt Sennetts Seller einen Titel, der ursprünglich allein über dem Schlusskapitel stand. “Tyrannei der Intimität” ist mittlerweile ein Gassenhauer, und wenn man die Wortfolge heute benutzt, so im Wissen um die Unausweichlichkeit dessen, was Sennett vor knapp drei Jahrzehnten zu bannen gesucht hatte. Zwischen Talk Shows und Life Style-Magazinen inszeniert sich Seelenstriptease von einer Art, die in ihrer Peinlichkeit kaum mehr wahrgenommen wird. Es ist eine neue Dialektik der Aufklärung entstanden: Öffentlichkeit und Privatheit sind in eine Mix-Existenz überführt, für die Jürgen Habermas in seinem “Strukturwandel der Öffentlichkeit”, in vielem Sennetts Mentor,…