Rainer Metzger
Relektüren
Folge 13
Derrida ist der Descartes des Diskurses. Zweifellos ist er der einflussreichste Denker der Gegenwart, auch wenn den “Citation Index” der meistgebrauchten Stichwortgeber andere dominieren. Bourdieu, Zizek, Butler lassen sich leichter, und das heißt vergnüglicher lesen. Derrida setzt viel voraus, er ist sehr philosophisch, und er schreibt ein ziemlich unübersetzbares Französisch. Anders als die Deutschen sind die Franzosen die Radikalisten nicht der Konzepte, sondern der Sprache. Wenn man es in ein anderes Idiom bringt, klingt es gern einmal prätentiös.
Das Wortgeklingel, das den Katalogbenutzern und Kunstmagazinlesern seit zwei Jahrzehnten in den Ohren liegt, ist nicht zuletzt Ergebnis jener Sekundärlektüren, an deren Anfang irgendwann eine Derrida-Stelle lag. Seither treibt das Diktum vom “sich Einschreiben” allerorten sein Wesen. Längst hat es sich verselbständigt. Dass es einst damit zu tun hatte, was ein Diskurs ist, nämlich, wie Derrida es nennt, “die aktuelle, lebendige und bewusste Repräsentation eines Textes in der Erfahrung der Schreibenden oder Lesenden” (S. 178), ist im allgemeinen Tumult des “s’inscrire” erledigt. Streng genommen ist das “sich Einschreiben” nur dort am Platz, wo es um Derrida geht. Und namentlich um sein Initialwerk, die 1967 in den Pariser Editions de Minuit erschienene Grammatologie.
Ihr steht die Voraussetzung allen Schreibens und Einschreibens, der Buchstabe, griechisch gramma, bereits im Titel. Das abendländische Denken, so greift Derrida in die Vollen, sei insgesamt beherrscht vom Logozentrismus und sein Medium die Wortsprache. Die Domäne des Signifikanten, des Buchstabens, der Schrift, sei demgegenüber völlig in den Hintergrund gedrängt. Dabei sei doch die Schrift, und ganz modernistisch begibt sich…