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Magazin: Bücher · von Rainer Metzger · S. 408 - 409
Magazin: Bücher , 2003

Rainer Metzger
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Folge 8

Während jedoch Lenin nachträglich sakralisiert wurde, gab das Bild Stalins in der Kunst – Stalin als der wahre neue Mensch, als das Vorbild für jeden Erbauer des Sozialismus, als der eigentliche Schöpfer des neuen Lebens – ihm selbst die Möglichkeit, im selbstgeschaffenen Kunstwerk das eigene Abbild zu sehen, denn der Porträtist als neuer sowjetischer Mensch war nur als ‘vom Stalinschen Geist inspiriert’, von Stalin mitgeschaffen vorstellbar: Die Stalinporträts (als höchste Errungenschaft des Sozialistischen Realismus) sind in diesem Sinne Abbilder des Demiurgen in sich selbst – die letzte Etappe im dialektischen Prozess.” (S. 76)

“Abbilder des Demiurgen in sich selbst”: Ein orthodoxer Theologe aus der Zeit des Bilderstreits hätte es nicht schöner sagen können, um seine Ikonen zu verteidigen, und wahrscheinlich bedurfte es auch noch in jenem Jahr 1988, als Boris Groys mit seinem “Gesamtkunstwerk Stalin” schlagartig bekannt wurde, einer gehörigen Portion Byzantinismus, um dem Objekt so nahe zu kommen, dass man es verehren konnte. Jedenfalls startete Groys, damals Dozent für Russisch in Münster, den Versuch, die Persona non grata, die noch nicht lange zuvor in Deutschland und seinem Historikerstreit mit dem ultimativen Verdikt, der Gleichsetzung mit Hitler, bedacht worden war, auf eine ganz neuartige und immer schon praktikable Weise zugleich zu rehabilitieren. Stalin wurde ästhetisiert. Und wenn Josef Wissarionowitsch mit einem Begriff, der prekärer ist als Groys das ins Visier nimmt, zum “Gesamtkunstwerk” erklärt wurde, dann ist die ganze visuelle, rhetorische und architektonische Hofberichterstattung um ihn herum gleich mit aufgewertet.

1988, parallel zu Groys, veröffentlicht Karl Schlögel sein Buch…


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