Rainer Metzger
Relektüren
Folge 7
Die Einführung der fremdesten aller Fremdartigkeiten vollzog sich in aller Deutlichkeit. Gleich auf der ersten Seite seines monumentalen Essays, und dies zumindest ist ihm von den Rezensenten unisono gutgeschrieben worden, rückte George Steiner mit seiner Behauptung heraus: “Die These lautet, daß jede logisch stimmige Auffassung dessen, was Sprache ist und wie Sprache funktioniert, daß jede logisch stimmige Erklärung des Vermögens der menschlichen Sprache, Sinn und Gefühl zu vermitteln, letztlich auf der Annahme einer Gegenwart Gottes beruhen muß. Ich stelle die These zur Diskussion, daß insbesondere auf dem Gebiet der Ästhetik, also dem der Literatur, der bildenden Künste und musikalischer Form die Erfahrung von Sinn auf die notwendige Möglichkeit dieser ‘realen Gegenwart’ schließen läßt.” (S. 13)
“Gegenwart”, schreibt Steiner. Und Gegenwart ist viel mehr als Existenz. Die Dinge, über die er in seinem 1989 auf englisch und ein Jahr darauf in deutscher Version erschienenem Buch nachdenkt, dienen ihm nicht allein, und das wäre schon Ungeheuerlichkeit genug, einem Gottesbeweis, sondern sie bürgen für nicht weniger als Realpräsenz. An der Frage nach der persönlichen Anwesenheit der höchsten Instanz haben sich die Epochen davor Konfessionen zerrieben und Religionskriege entfesselt.
Steiners Ansatz ist also nicht nur theologisch, sondern gleich eucharistisch. So gesehen könnte man das seltsame Werk gleich wieder zuklappen, denn nach allem modernen Agnostizismus lässt sich über Gott nicht reden. Man kann ihn nehmen oder auch nicht. Gottseidank, um es mit Luis Bunuel zu formulieren, taugt er nicht als Streitfall.
Wäre da nicht dieses obskure “insbesondere”, das in Steiners Eingangsthese von der allgemeinen, erkenntnistheoretischen…