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Magazin · von Rainer Metzger · S. 440 - 441
Magazin , 2006

Rainer Metzger
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Folge 19

Als Paul Maenz zur Eröffnung seiner allerletzten Galerieausstellung in Köln lud, gab es am Eingang einen Türsteher. Das hatte ganz handfest mit der damals noch rasend boomenden Kunststadt zu tun, zu deren Art Cologne im November 1989 die Vernissage bei Maenz parallel lief, und die Interessierten drängelten heran wie zeitgleich die Trabifahrer vor den D-Mark- Ausgaben. Das hatte auch mit Vorsicht zu tun angesichts der Fragilität der ausgestellten Objekte von Anselm Kiefer, den Düsenflieger-Modellen aus Bleiplatten, denen gläserne Aufsätze, Schnüre, Pflanzen beigegeben waren. Auf seine Weise aber war der Türsteher auch eine symbolische, nein sogar eine ikonografische Figur. “Der Engel der Geschichte – Mohn und Gedächtnis” hatte Kiefer seine Schau betitelt, Paul Celans berühmtes Gedicht aufrufend und einen der erratischsten Gedanken Walter Benjamins, der sich im Original folgendermaßen liest: “Der Engel der Geschichte muß so aussehen. Er hat das Antlitz der Vergangenheit zugewendet. Wo eine Kette von Begebenheiten vor uns erscheint, da sieht er eine einzige Katastrophe, die unablässig Trümmer auf Trümmer häuft und sie ihm vor die Füße schleudert. Er möchte wohl verweilen, die Toten wecken und das Zerschlagene zusammenfügen. Aber ein Sturm weht vom Paradiese her, der sich in seinen Flügeln verfangen hat und so stark ist, daß der Engel sie nicht mehr schließen kann. Dieser Sturm treibt ihn unaufhaltsam in die Zukunft, der er den Rücken kehrt, während der Trümmerhaufen vor ihm zum Himmel wächst. Das, was wir den Fortschritt nennen, ist dieser Sturm.” (zitiert nach Benjamin, Illuminationen. Ausgewählte Schriften 2, Frankfurt/ Main 2….


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