Rekonstruktion des »kritischen Intellektuellen«
Pierre Bourdieu und Hans Haacke im »Freien Austausch«
Einige Male schon traf sich der deutsch-amerikanische Künstler mit dem Soziologieprofessor aus Paris, doch erst im November 1991 lief dabei auch ein Tonband mit. Der Mitschnitt wurde 1993 dank einer Mitarbeiterin zu einem Text montiert und weitere zwei Jahre später auch auf Deutsch veröffentlicht. Die beiden Männer um die sechzig praktizieren gesprächsweise eine “Realpolitik der Vernunft” – so Bourdieus Schlußwort. Es fiele nicht schwer, sich über Wohlgesinntheit und gegenseitiges Schulterklopfen (“Sie müßten eine Art technischer Berater aller subversiver Bewegungen sein…” Bourdieu zu Haacke) lustig zu machen. Dann allerdings hätte man ihren Dialog falsch verstanden: “Wir können uns nicht länger den Luxus leisten, die Dinge nach Modekriterien einzuschätzen.” (Haacke)
Kunst ist nicht allein Produkt, wie es anders die Kommerzwelle der 80er kaum wahrhaben wollte, sondern auch symbolische Macht. Diese Lektion erteilte – als Negativ – der reaktionäre US-Senator Jesse Helms mit seinen Kampagnen gegen libertäre Kunst: Ein “Machtkartell” aus Congressional Club, American Family Association, New Criterion-Schreiber Hilton Kramer und “Intellektuellensalons” attackierte Scorseses Film ‘Die letzte Versuchung Christi`, Serranos ‘Piss Christ`, die Mapplethorpe-Retrospektive, Marlon T. Riggs Film ‘Tongues Untied` oder die Ausstellungen ‘Repulsion and Desire in American Art` und ‘The Subject of Rape` im Whitney Independent Study Program. Auf den Protest des Whitney Museums, medial verstärkt durch eine Anzeigenkampagne, folgte das Schweigen vieler anderer Museumsdirektoren. Ein “Netz von Abhängigkeiten” festigt diese “Tradition der Ängstlichkeit”, welche Haacke schon früher in eigener Sache erfahren hat.
»Die Welt der Kunst ist, entgegen weitverbreiteter Annahmen, keine Welt für…