(Re)Konstruktion der Erinnerung
CHRISTIAN BOLTANSKIS UNTERSUCHUNG DES SUBJEKTS UND DES SOZIALEN
VON JOHANNES MEINHARDT
(Re)Konstruktion und Museum
Der historische Einsatz von Christian Boltanskis ersten Arbeiten, die 1968/69 mit einer – schnell in die Konstruktion einer Fiktion umschlagenden – Rekonstruktion seiner Kindheit begannen, liegt im Übergangs- und Schnittpunkt zweier epochaler Bewegungen, die Kunst und Leben in eine unlösbare, wesentliche Beziehung bringen wollten und die eine Erforschung oder sogar Veränderung des Lebens mit Hilfe der Kunst in Gang zu bringen versuchten. Christian Boltanski beginnt mit dem Ende der naiven oder affirmativen, aber auch kritisch-politischen Engführungen von Leben und Kunst in Happening, Nouveau Réalisme, Pop-art und Fluxus, bei Joseph Beuys, Yves Klein, Dieter Roth, die Anfang der 60er Jahre begonnen hatten, das Material des “wirklichen Lebens” zu benutzen, darzustellen und zu demonstrieren oder auf das “wirkliche Leben” bewußtseinsbildend und pädagogisch einzuwirken. Zumindest die direkt politisch-pädagogisch ausgerichteten Teile dieser Bewegung erfuhren 1968 sowohl ihre Erfüllung als auch ihren Zusammenbruch.
Aus dieser Zäsur, diesem Zusammenbruch, der den Glauben an künstlerische Aufklärung schwer erschütterte, der die Naivität vieler Künstler der Gesellschaft gegenüber aufdeckte, gingen aber künstlerische Bewegungen hervor, die Gesellschaft und Leben zum Gegenstand von mehr oder weniger wissenschaftlichen Forschungen machten. Durch strukturalistische Verfahrens- und Betrachtungsweisen waren die Gesellschaftswissenschaften in den 60er Jahren völlig umgestaltet worden: Sie hatten einen Blick auf ihren Gegenstand (die Sprache, die Gesellschaft, das Symbolische, das Soziale) geschaffen, der seinen Gegenstand, an dem der Forscher selbst teilhat, von dem er sich nicht abtrennen kann, nicht “versteht”, sondern als fremden, unvertrauten und unverstandenen von außen konstruiert oder rekonstruiert….