Burghart Schmidt
Reisen bis ans Ende des Ankommens
Utopie als Reisegebot oder die Frage nach dem Reisemotiv von der Philosophie aus
Beim gewählten Titel ließe sich denken, alles drehe sich um das Vollenden der Ankunft. Doch durchaus mit Spiel einer solchen Beibedeutung, die sich querstellt, ging es darum, die Unerreichbarkeit der Ankunft durch Reisen zu artikulieren als einen Prozeß, der nicht das Reisen absurd macht, sondern mit dem Kult der Ankunft, des Ankommens, des Sicheinrichtens und so des nun woanders Zuhauseseins zu brechen anhebt, auch mit dem romantischen des Überallzuhauseseins. Man kennt ja den Spruch des Novalis zur Philosophie, sie sei die Sehnsucht oder das Heimweh danach, überall zu Hause zu sein.1
I.
Endstation Sehnsucht
Aber Novalis spricht von einer Sehnsucht, am wenigsten also von einem Sein. Und derart läßt sich ohne Kult eines Überallzuhauseseins der Spruch doch mit dem zusammenbringen, was zu betonen ist: Reisen erzeugt das Abdriften von Ankünften, sonst hätte Reisen immer bitter enttäuscht und würde immer bitter enttäuschen. Entgegen Ibn Chaldun2, noch mittelalterlich, geht es nicht von der Nomadie zur Seßhaftigkeit, sondern von der Seßhaftigkeit zur Nomadie; denn Seßhaftigkeit schafft erst die Bedingungen zur Nomadie, außer es soll um Vertreibungen, Deportationen und Umsiedlungen sich drehen. Das wurde ja immer nur als der Folterzwang von einer Seßhaftigkeit in die andere Seßhaftigkeit realisiert oder als das Zwingen der Nomaden in die ansiedelnde Seßhaftigkeit, hat also gerade mit Nomadie am wenigsten zu tun.
Im Reisen entlernt sich das Ankommen oder die Ankunft. Oder: Das einzige, was man vom Reisen existentiell lernen kann, das wäre die…