Johannes Meinhardt
Reiner Ruthenbeck
Staatliche Kunsthalle Baden-Baden, 2.10. – 24.11.1993
Im Gegensatz zu Palermo, der genauso wie Reiner Ruthenbeck eine europäische Reaktion auf die Minimal art hervorbrachte, schleppte Ruthenbeck auch ein Erzübel der meisten minimalistischen Objekte ein: ihre langweilige, gnadenlos pädagogische Wörtlichkeit. Diese saubere, aufrichtige und puritanische Eindimensionalität hat sich in seinen jüngeren Arbeiten eher verstärkt: Sie sind so deutlich, so didaktisch, so bemüht um die möglichst klare und simple Artikulation eines einfachen Sachverhalts, daß sie mehr als den einen Blick, der ihre Aussage erfaßt, gar nicht mehr erlauben. Schon einem länger verweilenden oder einem zweiten Blick wird solche ängstliche Sorge um Klarheit und Evidenz unangenehm, und im Fortgang stellt sich schnell Überdruß ein. Wie in einem viel zu ausführlichen Lehrbuch bleibt nichts, als die einzelnen Arbeiten zustimmend abzuhaken; zwar sind sie völlig richtig, von fragloser Evidenz, doch wußten wir schon vorher, was sie demonstrieren – sie sind trivial.
Das ist sehr schade; denn Ruthenbecks Erforschung von Kräften und Energien – vor allem der Schwerkraft -, die er als Spannung und als potentielle Energie in statischen Körpern sichtbar macht, bearbeitet sehr interessante Fragen. Nach naturwissenschaftlichem Verständnis der Welt weist die Natur selbst die Idealität geometrischer Formen und Dimensionen auf, sobald nicht die Körper, sondern Energien und Kräfte analysiert werden: So erzeugt etwa die Schwerkraft streng lineare Bewegungen, solange sie nicht gestört oder überlagert wird. Eine “Materialisierung” und Veranschaulichung der Schwerkraft als Spannung – als potentielle Energie – schafft durch die Spannung von Stoffbahnen lineare Geraden oder streng zweidimensionale Flächen, wenn Stofflächen durch das…