Reiner Maria Matysik
Der Baum in uns und andere Utopien künftiger Lebensformen
Ein Gespräch von Judith Elisabeth Weiss
Als Reiner Maria Matysik (*1967) Mitte der 1980er-Jahre auf die leuchtenden Tabakpflanzen von Biotechnologen stieß, war für ihn klar: Das ist Kunst! Und so enthält sein Künstlerbuch zukünftige Lebensformen (1999) auch einen Beitrag des Mikrobiologen und Genetikers Alfred Pühler, der zur Fluoreszenzmarkierung bei Tabak durch das Einschleusen eines Glühwürmchen-Gens forschte. Poetische Science-Fiction-Szenarien, wie etwa Stanislav Lems Vorstellung von leuchtenden Bäumen als Straßenlaternen, sind in der Realität angekommen. Dies belegen nicht zuletzt die jüngsten Forschungen zu gentechnisch veränderten Pflanzen für die nachhaltige Nutzung als Lichtquellen. An diesen Verflechtungspraktiken von Kunst und Wissenschaft sind die Prototypen für postevolutionäre Organismen von Matysik angesiedelt, von der Annahme ausgehend, dass durch Biotechnologien künftig eine „aktive Evolution“ möglich sein wird. Die Grenzen zwischen den Arten lassen sich demnach durch die Rekombination von genetischem Material verschiedener Organismen auflösen, um ganz andere, vermutlich überlebensfähigere Körperformen zu kreieren.
Matysik nutzt das Potential der Kunst als Hüterin der Fantasie wie auch der Form, um mit seinen „biologischen Plastiken“ ein Formenreservoir für künftige transgene Organismen zur Verfügung zu stellen. Der Kunst kommen neue Aufgaben zu, indem sie Natur nicht abbildet oder sich in einer Überbietungsgeste über sie stellt, sondern sich symbiotisch mit ihr vereinigt. Denn eines steht für den Künstler fest: Die Selbstbildungskräfte der Natur, auch der biotechnologisch veränderten, bringen um ein Vielfaches subtilere und komplexere Formen hervor als künstlerisch-gestalterische Bildungsmöglichkeiten. Matysiks fantastisch-humorvolle Gebilde sind mehr als spekulatives Design. Der kritische Impuls des multimedial arbeitenden Künstlers…