vorheriger
Artikel
nächster
Artikel
Relektüren · von Rainer Metzger · S. 362 - 363
Relektüren , 2017

Relektüren

Rainer Metzger Folge 38

Wie alles, was einmal klein anfing und sich alsbald zu Weltruhm aufschwang, hat auch die Kunstgeschichte eine heroische Phase. Das war die Zeit, als man en masse Meister und Werke bestimmte und dafür auch die Dokumente fand, die die Provenienzen und Zuschreibungen mit der Plausibilität einer historischen Quelle umgaben. Es handelte sich um die Jahrzehnte vor 1900. Der Positivismus, der einen Fortschritt im Auge hatte, der immer schon in der Vergangenheit begann, hatte sich sehr gewinnbringend der Geisteswissenschaften bemächtigt.

Dann war es vorbei mit dem heldenhaften Ans-Tageslicht-Rücken historischer Wahrheiten. Der Kunstgeschichte waren die Quellen versiegt. Nolens volens konzentrierte sie sich aufs Interpretieren, auf jenes Sichten und Schichten von Deutungen, das sie bis heute – und seit sie Bilderwissenschaft sein will umtriebiger denn je – betreibt. Es gibt noch Restbestände an quellenkritischen Projekten, jenes, das sich Rembrandt verschrieben hat, zum Beispiel, doch das Gros kunsthistorischer Arbeit besteht in der zufälligen Begegnung von Phänomen und Auslegung auf einem Schreibtisch.

Galionsfigur dieser Umorientierung ist Erwin ­Panofsky. 1892 in Hannover geboren, bei Wilhelm Vöge in Freiburg über Dürer promoviert, ab 1920 in Hamburg lehrend, 1933 in die Emigration gezwungen und schließlich bis zu seinem Tod 1968 Professor in Harvard, war Panofsky von jener ungeheuren Produktivität, die sich zwanglos ergibt, wenn die eigene Methode griffig genug ist. Und sie war in der Tat polyglott: Von der Frühgotik des Abt Suger von Saint-Denis bis zur Filmanalyse und zum Kühlergrill von Rolls-Royce, die ihm heute ein spezielles Ruhmesblatt sichern, reicht Panofskys Aktionsfeld.

Panofsky ist also der erste…

Kostenfrei anmelden und weiterlesen:

  • 3 Artikel aus dem Archiv und regelmäßig viele weitere Artikel kostenfrei lesen
  • Den KUNSTFORUM-Newsletter erhalten: Artikelempfehlungen, wöchentlichen Kunstnachrichten, besonderen Angeboten uvm, jederzeit abbestellbar
  • Exklusive Merklisten-Funktion nutzen
  • dauerhaft kostenfrei