Marius Babias
Rainer Grodnick
Künstlerhaus Bethanien, 11.5. – 27.5.1990
Der Versuch, in den sozialen Prozeß künstlerisch einzugreifen, erscheint dann kühn, wenn er nicht scheitert. Einen Ausdruck zu finden, der jenen Abstraktionsgraben des sprachlichen Nachvollzugs überspringt, um die Bedeutung in die Ebene der Wahrnehmung hineinzutransformieren, kennzeichnet die prozeßhafte, Betrachter und Werk als konstitutive Hauptelemente fassende Vor- gehensweise von Rainer Grodnick. Konstitutive Hauptelemente wovon? Das Werk hat den Charakter einer Vorgabe, einer Anweisung, deren Form der Betrachter mit Wahrnehmung füllen muß. Umgekehrt ist die Betrachtung an sich eine Art Selbstzweck des Werks: Man betrachtet einen Gegestand, um ihn schlicht wahrzunehmen. Grodnicks Arbeiten sind Auslöser und Signaturen eines Prozesses, der ohne soziale, auch alltägliche Erfahrungen nicht auskommt; es sei denn, man stellt beim Betrachten von Kunst seinen persönlichen, am allgemeinen gesellschaftlichen und ästhetischen Prozeß geschulten Erfahrungshintergrund ehrfürchtig zurück.
Grodnicks Vorgabe besteht in der systematischen Lochung der Stellwand im Studio III des Künstlerhaus Bethanien, die normalerweise das Fenster und den Blick auf den Mariannenplatz verdeckt. Jetzt wird er ausschnitthaft frei, sieht man durch eines der kleinen Löcher nach draußen. Ohne diesen Akt, der Innen- und Außenraum rekonstruieren hilft, bleibt die Arbeit als bloßer Eingriff an der Ausstellungskulisse unvollständig. Dagegen signiert die gezielte Betrachtung durch die Wandperforation den Eingriff als Scharnier zwischen künstlerischem und sozialem Raum. Je nach Perspektive erfährt Kunst eine elitäre oder populäre Ausrichtung, sie verweist nach innen, nach außen, ist Kern eines ästhetischen oder sozialen Wahrnehmungsprozesses. Die Besonderheit besteht darin, daß allein der Betrachter über den Grad dessen befindet, wie alltäglich Kunst oder wie ästhetisch…