Maribel Königer
Raimund Kummer
»Rosebud«. Eine Skulptur und Fotoarbeiten von 1990/91
Galerie Six Friedrich, München, 4.7. – 7.9.1991
In David Lynchs herausforderndem Film “Blue Velvet” entdeckt zu Beginn der Handlung einer der Protagonisten, der naive Junge von nebenan, ein abgeschnittenes menschliches Ohr im Gras, und dem Zuschauer schwant zu Recht, daß dieser Fund nur den Anfang einer Kette von verstörenden Erlebnissen und Situationen markiert. Amputierte Körperteile – und Ohren im besonderen – stehen in nuce weniger für das intakte Ganze, sondern assoziieren Unbehagen vor Grenzsituationen – vom faszinierenden Klischee der Autoaggression (van Gogh) bis zur nackten Folter (Getty).
Der Berliner Künstler Raimund Kummer, der schon seit längerem in surrealistischer Manier Fotografie und Objekt kombiniert, läßt sein Ohr – es ist in der Tat, ganz in vincentinischer Nachfolge, das Organ des Künstlers selbst – von Efeu überwuchern. Eine zur tropischen Riesenpflanze vergrößerte, in Bronze gegossene Blattranke bedeckt zur Hälfte das in Cibachrome-Technik aufgenommene, rötlich schimmernde Ohr, welches gleichfalls im “Blow up” gewachsen ist. Das prätentiös unter einer fragilen Glasplatte präsentierte Foto, das eben nicht nur einen Körperteil hervorhebt, sondern Verstümmelung mitdenken läßt, und das in edlem Material hergestellte Kunstgewächs, dessen Image, Grabstein- und Ruinenkletterer zu sein, so fest an ihm haftet wie es selbst an verfallenem Gemäuer, diese antithetischen und zugleich harmonierenden Elemente der zweiteiligen Installation spielen mit dem Kontrast von Delikatesse und Morbidität.
Mit dem Bronzeguß nach der Natur knüpft Kummer nicht nur bei Zeitgenossen wie dem Arte-povera-Künstler Giuseppe Penone an, sondern auch an eine beliebte Technik der Renaissance, die den sogenannten “Stile Rustique”…