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Monografie · von Reinhard Ermen · S. 294 - 309
Monografie , 1998

Reinhard Ermen
Raffael Rheinsberg

»Ich suche nicht, sondern ich finde«

Hand und Fuß” (1980) sind auf dem Boden ausgebreitet, vermodertes Schuhwerk, zerschlissene Handschuhe, fein säuberlich in neun Reihen geordnet; da die Hände, dort die Füße. Die Schuhe wurden während des letzten Krieges von zwangsverpflichteten Fremdarbeitern getragen, Raffael Rheinsberg hat sie 1980 am Berliner Gleisdreieck gefunden. Nicht nur das Material, auch der Titel und die Form sind irgendwie Fundstücke. Ursprünglich, bei einer ersten Präsentation 1980 im Neuen Berliner Kunstverein, wurden nur die Schuhe gezeigt, gestapelt als “Schuhmauer”, erst danach kommt die sprichwörtliche Assoziation “Hand und Fuß”, als Rheinsberg sich an das Gespräch mit einem Kohlenhändler erinnert, dem er beim Schweifen durch das Niemandsland am Gleisdreieck begegnet. Jetzt beginnt die Suche nach den Handschuhen, die dort, wo Kleingewerbetreibende, Schrotthändler oder Gerüstebauer wirken, überall zu finden sind. Der große Verwitterungsprozeß macht die “Hände” einer späteren, freieren Generation den “Füßen” der Zwangsarbeitergruppe gleich, die eine Aura kommt durch den Werk- und Ausstellungsprozeß zustande. 1982 in der Berliner Quergalerie gibt es erstmals “Hand und Fuß”. Seitdem ist die Arbeit – mittlerweile ein Schlüsselwerk – viel gereist. Den entsprechenden Bedingungen vor Ort fügt sie sich. 1982, in der langgestreckten Quergalerie, sind es sechs Reihen, 1989 in der Langemarckhalle des Berliner Olympiastadions acht, und das Installationsfoto von 1993 aus der Kunsthalle Nürnberg (“Arbeiten zur Zeit”) zeigt neun kompakte Zeilen. Jedes der hier aufgereihten Stücke erzählt eine andere Geschichte und geht gleichzeitig ein in dieses exemplarische Kollektiv, das die Spuren längst vergangener Leiden in einem rechteckigen Feld für die Gegenwart…


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