Jürgen Raap
Provisorische Architektur
Kioske, Baracken und Container
Anfang des 20. Jahrhunderts verboten die deutschen Behörden aus hygienischen Gründen den Verkauf von Speiseeis an mobilen Ständen auf der Straße. Die Eisverkäufer reichten nunmehr ihre Ware aus Hausfluren und aus den Fenstern von Erdgeschosswohnungen ihrer Kundschaft nach draußen. Damit die Kinder in diese Räume hineinschauen und sich ihre Eissorte auswählen konnten, nagelte man vor den Fenstern kleine Podeste mit Holzbrettern zusammen. So entstand das noch heute geläufige Wort “Eisdiele” – viele Eiscafés haben auch in unseren Tagen noch solch ein Fenster für den Straßenverkauf. In diesen Eisdielen ist ein ambulantes Prinzip “sesshaft” geworden.
Die temporäre Architektur hat zwar einen ihrer Ursprünge in den Ständen und Verkaufsbuden der mittelalterlichen Märkte. Tatsächlich aber sind diese “flüchtigen” Bauten eher ein Merkmal unserer Zeit. “Wohl kaum eine Epoche hat derartig viele temporäre Bauten unterschiedlichster Zweckbestimmungen und Ansprüche hervorgebracht wie das 20. und beginnende 21. Jahrhundert”, stellten die Veranstalter des Kolloquiums “Einprägsame Architekturen für temporäre (flüchtige) Orte” fest, das 2002 am Wuppertaler “AGT-Institut für Architektur- Geschichte und -Theorie” stattfand. “Ausstellungspavillons, Propagandabauten, Notunterkünfte, Fertighäuser, Filmarchitekturen, Bühnenbilder, Raumkapseln, und ,Instant Cities'” zählte man in diesem Kolloquium zu solch einer provisorischen Architektur “jenseits tradierter Typologien”1.
Baumhäuser und Kioske
Der Deutsche Werkbund präsentierte zur Hannoveraner EXPO 2000 ein “weltweites Projekt” mit dem Titel “Aus Hecken werden Häuser – Bauwerke als Baumwerke”. Es wurde als “grüne Modellstadt” in der Bonner Stadtgärtnerei vorgestellt und diente auch als Theaterbühne.
Dass die anthropologischen und zivilisationsgeschichtlichen Wurzeln jeglicher Behausung in einem Sich-Einrichten in der Natur auszumachen sind, konnte an diesem Projekt…