Postdigital 1
Allgegenwart und Unsichtbarkeit eines Phänomens
von Franz Thalmair
„Wie Luft und Wassertrinken wird das Digitale nur durch seine Abwesenheit und nicht durch seine Anwesenheit bemerkt werden. […] Computer, wie wir sie heute kennen, werden a) langweilig sein und b) in Dingen verschwinden, die zuallererst etwas anderes sind: smarte Fingernägel, selbstreinigende Hemden, fahrerlose Autos, therapeutische Barbiepuppen […] Computer werden ein umfassender aber unsichtbarer Teil unseres Alltags sein: Wir werden in ihnen leben, sie tragen, sie sogar essen. […] Begreift es doch – die digitale Revolution ist vorüber.“1
Vor mehr als 18 Jahren, als noch keine Bilder von selbstfahrenden Autos zirkulierten, stellte Nicholas Negroponte, Professor am Massachusetts Institute of Technology, in „Beyond Digital“ die Frage, ob das Digitale mit der Banalität von Plastik vergleichbar sein werde? Die Selbstverständlichkeit im Umgang mit digitalen Technologien galt bereits damals – umso mehr gilt sie jetzt. Dies ist ebenso unbestritten wie die Tatsache, dass die Diskussion, die heute verstärkt unter der Marke „postdigital“ geführt wird, kein Ende antizipiert, also eine Zeit nach dem Digitalen, sondern von einer Reihe sich ständig wandelnder Phänomene handelt, die ob ihrer Unbeständigkeit, Allgegenwart und Unsichtbarkeit nur schwer gefasst werden können.
Kurz nach Negropontes Analyse des Status „jenseits“ des Digitalen brachte der Komponist Kim Cascone den Begriff „postdigital“ auf, mit dem er ein Musikgenre charakterisierte, das sich digitaler Störsignale zur Erzeugung von Klang bediente. „Die Ranken der digitalen Technologien haben in gewisser Weise jeden berührt“2, schreibt er in „The Aesthetics of Failure. Post-Digital Tendencies in Contemporary Computer Music“ und schließt an Negroponte an, indem er die revolutionäre…