Michael Hübl
Porträt und Protest
Der Massenmörder Anders Breivik und andere poltische Aspekte des Selbstbildnisses
Wenn das offenbar etwas entschleunigte Reaktionsvermögen der norwegischen Sicherheitskräfte bei dem Massaker von Utøya etwas Gutes hatte, dann die Tatsache, dass der Massenmörder Anders Breivik am Leben blieb. Wäre er, wie es in derlei extrem angespannten Konfrontationen oft vorkommt, von der Polizei erschossen worden, hätte sich von ihm just das Bild verfestigt, das er für die Öffentlichkeit vorbereitet hatte: ein junger Mann, nordisch, ordentlich, modern. Da ihm anscheinend bewusst war, dass sich Bildmedien wie Waffen einsetzen lassen, hatte er sich nicht nur große Mengen von Chemikalien zur Herstellung von Sprengstoff besorgt und im Umgang mit Pistolen und Gewehren geübt, sondern hatte darüber hinaus gründlich an seinem Aussehen gefeilt. Breivik hatte sein Image gestylt, mit dem er im allgemeinen Bildgedächtnis wie ein Trojaner andocken wollte. Er setzte, und sei es intuitiv, auf die Erkenntnis: Ein Bild lügt mehr als 1000 Worte. Folgerichtig hielt er sich an ein Verfahren, das zwar vor allem durch die Filmindustrie prominent wurde, gerade aber auch von Politikern zur Gewinnung von Sympathiewerten genutzt wird. So wie mit den römischen Münzen die Porträts der Kaiser im Imperium Romanum zirkulierten und noch im Schatten des Hadrianwalls oder unter der Sonne Andalusiens an die Macht des fernen Herrschers und seiner Institutionen gemahnten, so zirkulieren die digitalisierten, gedruckten oder bildschirmgerecht aufbereiteten Bildnisse der Politiker des 20. und frühen 21. Jahrhunderts, um für die nächste Meinungsumfrage oder Wahl affirmative Payback-Punkte zu erwerben. In diesen Kreislauf brachte sich Breivik ein…