Pop und die Welt
Bücher des Rock-Papstes
Wer über Pop schreibt, braucht mindestens soviel Leidenschaft wie Verstand. Bei den meisten Popschreibern reicht es nur für eines von beiden. Nik Cohn, Simon Frith und Diedrich Diederichsen haben beides und sind damit berühmt geworden. Doch bislang ist es nur einem Pop-Theoretiker gelungen, selbst Popstar zu werden. Greil Marcus hat Groupies, gibt Autogrammstunden und geht auf umfangreiche Lesetouren. Mit seinen dünnen grauen Haaren, dem hageren Gesicht und der zarten Nickelbrille sieht er nicht aus wie ein Popstar, aber wenn er anfängt, über Elvis, Sly Stone und MTV zu sprechen, verfällt das Publikum in andächtige Stille und lauscht einem Verstandsmenschen, der keine Probleme mit seiner Leidenschaft hat. Selbst die manische Querulantin Julie Burchill ist stolz, als junge Punkschreiberin eine Postkarte von Marcus bekommen zu haben. Das war so wie für andere ein Brief von der Queen.
Greil Marcus ist 48 Jahre alt, und während die meisten Popschreiber Angst vor dem Älterwerden haben, bleibt Marcus gelassen. Am Ende eines jeden Tages weiß er mehr als am Morgen. Er lernt, liest und wird immer ruhiger. Eine Ausgeglichenheit und Kraft hat die Texte von Marcus ergriffen, die sie heraushebt aus all den dumpfen Mode-Hecheleien der Konkurrenz. Hier schreibt ein umfassend gebildeter und studierter Politologe, der spätestens seit seinem legendär gewordenen Buch “Mystery Train” weiß, daß ihm niemand die Show als Kritiker stehlen kann. Bruce Springsteen gestand 1975 nach der Lektüre, daß dieses Buch “dem Herz und der Seele Amerikas so nahegekommen ist wie der beste Rock ‘n’ Roll”. Marcus las…