Pop-Denker (I)
Pop ist etwas anderes als Kultur: Weil seine Sprache, wie die Sprache der Liebe, ohne jede Bildung verstanden werden kann. Pop ist mehr als ein Geschäft: Die Konzerne der Bewußtseinsindustrie haben niemals einen Popstar lanciert, den das Publikum nicht wollte. Und Pop hört sofort auf, Pop zu sein, wenn er sich in den Dienst von Parteien stellt: Wahlparolen werden nicht wahrhaftiger durch Gesang. Wenn Pop überhaupt eine Botschaft hat, dann diese: »Ich will Spaß, und ich will ihn jetzt!« Und wenn Pop politisch wird, dann liegt es daran, daß die Verhältnisse diesen Spaß nicht gestatten.
Aus: »Spiegel-Spezial« über »Pop & Politik« (2/1994), S. 3.
Das Comeback von Pop und Populärkultur bricht ins Betriebssystem Kunst ein. In den Elfenbeinturm elitärer Provokationskunst hat zwar bereits Andy Warhol den Virus populärer Massenkultur eingeschleußt. Die Kritikerzunft zeigte sich aber unbeeindruckt, verharrte in einer Position des Schreibens, welche die Bedingtheit ihrer jeweiligen Position ausblendete. Deshalb floriert die wahrnehmungsästhetische und inhaltistische Paraphrasierung der Kunstwerke. Während in den USA und in England für die Protagonisten der Cultural Studies das Mitreflektieren des persönlichen, sozialen und politischen Ortes, von dem aus gesprochen wird, zur Selbstverständlichkeit gehört, bleiben die Denker hierzulande auf ihrem völlig ratlosen High-Culture-Smooth-Talk eines ästhetischen Kanons kleben, welcher unbeirrt die Idee des Vollkommenen doziert und die Sinngebung des Sinnlosen verheißt.
Die Hinwendung zur Ästhetik läßt sich unschwer als Ideologieersatz begreifen. Je mehr die Theoretiker die Unterschiede von oben herab einebnen, desto heftiger beginnen die Künstler und Künstlerinnen gewissermaßen von unten ihr Recht auf Selbstbestimmung, Identität und Differenz einzufordern. Eine…