Rainer Unruh
Polypolis
»Art from Asian Pacific Megacities«
Kunsthaus Hamburg, 1.6. – 2.9.2001
Ni Tsai-Chin ist überall. Er thront als erfolgreicher Unternehmer der (inzwischen nicht mehr ganz so erfolgreichen) New Economy mit einem Laptop auf dem Sessel. Er verkauft Bücher und dealt mit Autos. Er tritt als Mitglied des taiwanesischen Kabinetts auf und er wird als Räuber verhaftet. Der Besucher von “Polypolis” kann Ni Tsai-Chin nicht entkommen. Kaum hat er die Ausstellung betreten, steht er vor einer mehrere Meter hohen Wand, an der die Seiten zweier Tageszeitungen hängen, einer aus Peking und einer aus Taiwan. Ni Tsai-Chin, zur Zeit Direktor des Nationalmuseums von Taiwan, hat die Inhalte beider Publikationen unverändert übernommen. Er hat lediglich die Fotos ausgetauscht und Aufnahmen von sich selbst an die Stelle kopiert, wo ursprünglich Wirtschaftsbosse, Politiker usw. zu sehen waren. Über den Betrachter bricht eine Bilderflut herein, der er nicht durch Distanzierungsstrategien ausweichen kann, weil die Ausstellungsmacher die Wand so dicht am Eingang platziert haben, dass es unmöglich ist, zurückweichen und sie als Ganzes in den Blick bekommen kann. So stellt sich das beunruhigende Gefühl ein, einer visuell aggressiven Propaganda ausgeliefert zu sein.
Die Bildsprache der Werbung, ihre Rhetorik der Verführung, spielt auch im Werk von Shi Yong eine Rolle. Der Künstler, 1963 in Shanghai geboren, reagiert auf den Konsumismus, der im Alltag längst den Kommunismus verdrängt hat, mit hyperaffirmativen, großformatigen Fotos, die das neue Glücksversprechen als das Paradies auf Erden inszenieren. In “Visions of the Future” (2000) regnet es rote Rosen auf eine fröhliche Großfamilie, und den Sprechblasen,…