Peter Herbstreuth
Poetik des Faktischen, Registratur als Metapher
Die Gedenkstätte »Gleis 17« am Bahnhof Berlin-Grunewald
Während noch über Bildmöglichkeiten des “zentralen Mahnmals für die ermordeten Juden Europas” gestritten wird, ist am Gleis 17 des S-Bahnhofs Berlin-Grunewald eher im Stillen eine Gedenkstätte durch wenige, präzise Eingriffe zu sich selbst gekommen. Sie erinnert an die Transporte von mehr als fünfzigtausend Juden nach Treblinka, Theresienstadt, Riga, Lodz und Auschwitz zwischen Oktober 1941 und April 1945.
Der Ort liegt auch heute mitten im Alltag. Der Bahnhof wird zum Beladen von Autoreisezügen benutzt. Pendler fahren von hier aus mit der S-Bahn in die Innenstadt, zum Wannsee oder nach Potsdam. Fernbahnzüge passieren den Bahnhof ohne Halt. Zwar ist Gleis 17 vom Zugfenster aus sichtbar, aber als Gedenkstätte “Gleis 17” nicht erkennbar. Die Architekten aus Saarbrücken Nikolaus Hirsch, Wolfgang Lorch und Andrea Wandel haben bei ihrer Gestaltung auf eine sichtbare Vertikale völlig verzichtet und sich ganz auf die Horizontale des Bahnsteigs und der Gleise konzentriert.
Zurückhaltung und Sachlichkeit kennzeichnen die Gestaltung bis ins Detail und lassen den Umgang mit Geschichte eines jungen Architektenbüros sichtbar werden, das künstlernah vorgeht, ohne die Arbeit als Kunst zu deklarieren und das Metaphern anspielt, ohne symbolische Bedeutungen vorzuschreiben. Respekt vor dem historischen Ort und eine Neigung zu formbetonter Funktionalität kennzeichnen auch ihre Gestaltung der Gedenkstätte “Neuer Börneplatz” in Frankfurt am Main und ihren Entwurf der neuen Synagoge in Dresden, für die am 9. November diesen Jahres der Grundstein gelegt wird. In jedem dieser Entwürfe wird der Betrachter in seinem heutigen Wissen und seinem gutwilligen Interesse ernst…