Aussenseiter, Artbrutisten, Autodidakten und Amateure, Volkskünstler, Visionäre, Vergessene und Verrückte: 25 Porträts
Philadelphia Wireman
(ANONYMER KÜNSTLER)
Eines Nachts, als ein Designer aus Philadelphia von einer Party nach Hause fuhr, streiften die Scheinwerfer seines Wagens einen Haufen metallisch glänzender Gegenstände. Zu Hunderten quollen sie aus zerrissenen Pappkartons und lagen über die ganze Straße verstreut. Er hielt an, stieg aus dem Wagen, hob einen davon auf und untersuchte ihn im Licht. In seiner Hand lag eine schwere ovale Plastik, die aus lauter kleinen bunten Dingen gemacht war – einem Flaschenverschluß, einem alten zusammengeknickten Streichholzbriefchen, einem Ohrring, einem Plastikstrohhalm, zerknülltem buntem Zellophan, einem Eintrittsbutton fürs Museum und anderen Dinge – und dicht mit glänzendem Draht umwickelt. Sie funkelte und glänzte im Dunkel der Nacht, und er merkte sofort, daß er hier einen besonderen Fund gemacht hatte. Er erinnert sich genau, wie er damals laut vor sich hinsagte: “Jemand muß diese Dinge gemacht haben.” Es war ihm klar, daß dieser Jemand offenbar genau wie er selbst vom Tand und Abfall der urbanen Gesellschaft fasziniert war.
Diese umwickelten Plastiken, meist kleiner als ein Brotlaib, werden heute als die größte Entdeckung anonymer urbaner Outsider Art der Gegenwart gefeiert und in zwei Galerien verkauft – bei Janet Fleisher in Philadelphia und Cavin-Morris in New York. Mehr als fünf Jahre nach der Entdeckung der über siebenhundert Objekte ist die Identität des Künstlers nach wie vor ein Geheimnis. Aber der “Philadelphia Wireman”, wie die Galerien ihn tauften, gab sein Debut in der Kunstszene vermutlich auf Janet Fleishers jährlicher Ausstellung mit Arbeiten autodidaktischer Künstler….