Stephan Berg
Peter Stobbe
Galerie Schneider, 30.9.89 – 5.2.90
1914/15 entwarf der russische Dichter und Theoretiker Velimir Chlebnikov in seiner Schrift “Wir und die Häuser” die Vorstellung einer freischwebenden, beweglichen, individuellen Bedürfnissen angepassten Architektur aus Glas und Eisen als Gegenentwurf zur beklemmenden funktionalen Technizität der damaligen Bauwirklichkeit. Damit ordnete er sich in eine breite, seit der Jahrhundertwende virulent gewordene, expressionistische und futuristische Strömung ein, die der Architektur unter allen Künsten die führende Rolle zuwies und mit ihren utopischen Modellen auf eine Gesamtveränderung der Wirklichkeit und ihrer Wahrnehmung zielte. Um diesen Ideenzusammenhang kreist auch die Kunst des Freiburgers Peter Stobbe, und das nicht erst, seit er 1981 über Chlebnikov promoviert wurde. Seine “hängenden Häuser” aus dem letzten Jahr wirken über weite Strecken wie plastische Umsetzungen früherer visionärer Architekturträume: fragile Drahtgebilde auf Acrylglasplatten mit zarter Nesselbespannung im Raum schwebend. Häuser, die alles vergessen haben, was sie gemeinhein ausmacht: Funktionalität, Rechtwinkligkeit, Tektonik. Statt dessen Häuserträume: durchsichtige, disfunktionale Luftschiffe, die mit geblähten Nessel-Segeln Kurs auf das ferne, unbekannte Reich der Imagination nehmen. “Umbrochene Formen” nennt Stobbe seine Kunst-Stücke. Das meint immer etwasDoppeltes. Zum einen, daß die Form, die wir sehen, nicht mehr die ist, die wir zu kennen glaubten, also in diesem Fall: Das Haus ist kein gewöhnliches Haus mehr. Zum anderen aber, daß der künstlerische Bruch mit der gewohnten Form nicht zu einer neuen konsistent beschreibbaren Struktur führt. Das heißt: Wir sehen etwas,was sich selbst über seine Bedeutung nicht ganz klar ist. Eine umbrochene Form, die ihre eigene Inhaltlichkeit ins Ungefähre umbricht: eine poetische Leerstelle,…