Ulf Jonak
Parasitäre Architektur
Schmarotzer in der Stadt
Das Haus hat seinen Ort. Es steht im Gelände, es bleibt unwiderruflich mit dem Erdreich verknüpft. Wie hervorgewachsen thront es über dem Boden. Gottfried Semper (1803 – 1879) spekulierte, dass der Uranfang des Häuserbaus der Erdaufwurf1 sei, ein aus Erde geformter Schutz des Herdes. Ein hüfthoher Hügel wie der Auswurf eines unterirdisch wühlenden und bauenden Wesens. Hineingetragen ein vom Blitz getroffener Ast, sein Feuer sorgsam gehütet. Ein Krater im Gelände wie ein glühendes Karfunkel.2
Wie eh und je scheinen traditionell gebaute Häuser auch heute noch unergründlich und wie selbstverständlich aus dem Boden aufzusteigen: wie Erdhügel oder wie aus dem Erdreich emporgewachsener Stein. Im Umkreis die feinkörnige Bodenkrume oder die gehärtete Lava des Asphalts, in der inneren Fläche ein grober Kiesring, darin ein Sockelgeschoss aus bossierten Hausteinen und darüber das wahrhaft Artifizielle aus fein geformten Ziegeln oder gehobelten Kanthölzern und Brettern. Aber noch die modernsten Bauweisen erinnern an diese Ursprünge des Bauens. Das Haus schmarotzt am Untergrund. Sein Material entstammt dem Gelände.
Unerschütterlich das Haus, sein kunstvoll gefügtes Volumen, sein trutziges Aussehen; außen die gegen Extremklima und Eindringlinge widerständigen Flächen, innen die Nistplätze, die Archive, Vorratskammern und Sprechzimmer. Jedoch soll das Haus nicht nur passive Hülle verborgener Aktivitäten sein, nicht nur abgeschirmter Speicher oder Unterkunft, das Haus soll teilhaben am Tun und Treiben der Menschen. Die tätigen Bewohner spiegeln sich in seinen viel sagenden Oberflächen. Kleider und Fassaden machen Leute: Die Verhältnisse kippen. Nicht die Erbauer gestalten das Haus, sondern das Haus putzt die Bewohner heraus. Selten…