Paradoxien der Sichtbarkeit
Blinde Seher
“Die Kunstgeschichte des Sehens ist nicht vollständig ohne eine Kunstgeschichte der Blindheit”. Diese zunächst irritierende Bemerkung bildet die Grundthese von Peter Bextes kürzlich publiziertem Band Blinde Seher, in welchem er die Wahrnehmung von Wahrnehmung im Medium des Bildes untersucht. Ausgehend von der radikalen Moderne des 20. Jahrhunderts, die sich den Paradoxien des Blicks verschrieben hat, rekonstruiert Bexte die Geschichte einer kontinuierlichen Verschränkung von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit seit dem 17. Jahrhundert.
Die Fragestellung situiert sich in einem Spannungsfeld von Kunstgeschichte, Philosophie und Physiologie. Entsprechend wird der Band mit der provokanten Entdeckung des blinden Flecks durch Mariotte im Jahre 1668 eröffnet. Dem Naturwissenschaftler ging es um jenen “Wahrnehmungsausfall, der dann eintritt, wenn das Bild eines Objekts genau auf den optischen Nerv fällt.” Bexte versteht diesen Verlust an Sichtbarkeit, der sich im Zentrum des Sehens selbst befindet, als paradigmatisches Ereignis für das 17. Jahrhundert und die Entwicklung eines “anthropologischen” Bildbegriffs. Die zeitgenössische Beschäftigung mit der Camera Obscura zeigt, inwieweit der neuzeitlichen Verschränkung von Optik und Malerei ein spezifisches Modell des Sehens zugrunde liegt, wonach Blicke selbst “immer schon Bilder sind”. In dieser Situation nun fällt der naturwissenschaftlichen Entdeckung des blinden Flecks die Aufgabe einer unfreiwilligen Rettung oder Rehabilitierung der Kunst zu: Die Malerei erhält erst durch den Ausfall in der physiologischen Wahrnehmung ihr (phantasmatisches) Primat, eben das zeigen zu können, was dem Blick ontologisch verborgen bleibt. Der Autor zeigt, inwieweit die epistemologische Wende weg vom Bild und hin zum Auge, wie sie die Wissenschaft des 17. Jahrhunderts vollzieht, schließlich zum Bild…