Jochen Becker
Kanal X, ein kleiner Piratensender in Leipzig zur Zeit der deutsch-deutschen Wende, demonstrierte vor zwei Jahren schlagartig, daß Fernsehen keineswegs auf Distanz halten muß: Zuschauer, die im “Haus der Demokratie” vorbeischauten, wurden in die Liveübertragung verwickelt und bestimmten so das Programm. In der rechtsfreien Zone zwischen DFF und ARD, zwischen Deutscher Post und Bundespost, zwischen “friedlicher Revolution” und freier Marktwirtschaft” erprobte eine schnellentschlossene Gruppe von Medienkünstlern (West) und Aktivisten (Ost) die Möglichkeiten selbstproduzierter Ausstrahlungen mit Hilfe gebrauchter Geräte und eines selbstgebauten Senders. Doch schon bald drohte das Fernmeldeamt mit Beschlagnahme der gesamten Anlage. Der Piratenkanal gab auf, fertigt Auftragsarbeiten für andere Sender und hofft nun auf eine Lizenz als ganz normaler Anbieter.
Das New Yorker Fernseh-Kollektiv Paper Tiger Television ist – was die technische Ausstattung, die improvisierte Atmosphäre der Sendungen, die Mischung aus Betroffenheit und Journalismus oder die gewünschte Nähe zum Zuschauer betrifft – mit Kanal X durchaus vergleichbar. Sowohl Kanal X als auch Paper Tiger TV werden zum großen Teil von Künstlern betrieben und auch im Kunstkontext rezipiert. Doch erst die Unterschiede zwischen den beiden “grassroots”-TV-Gruppierungen machen deutlich, warum sich in Deutschland bisher nur sporadische Initiativen bildeten, in den USA aber allein Paper Tiger TV schon seit elf Jahren existiert: Während dort eine Gruppierung ihr spezifisches Medium sucht, um bisher unterlassene Themen und Aufnahmen zu publizieren, steht hier zuvorderst die neue technische Möglichkeit, welche man schleunigst ausfüllen möchte. Ob Video, Radio, Fernsehen, Computerkunst oder die Mailbox-Netzwerke: jedesmal sind in Deutschland die “Techniker” schneller. Dies mag an der oftmals als…