Pandemische Einsichten
Anmerkungen zum Format der Fenster-Ausstellung
von Judith Elisabeth Weiss
Während ich diesen Text schreibe, sitze ich im Home Office an einem Fenster: meiner Windows-Oberfläche. Fenster geben Versprechen – wie Microsoft oder der Fernseher, der sich als Fenster zur Welt gibt, indem man durch ihn in die Ferne sieht, ohne in die Ferne zu gehen. In pandemischen Zeiten ist das Fenster zum symbolischen Ort der Kunst geworden, das ebenfalls ein Versprechen gibt – das Versprechen, im Unglück das Glück des Ästhetischen aufrecht zu erhalten. Denn die Ausstellungsorte wurden zugesperrt und Vernissagen unter dem neuen Begriff des „superspreading-events“ für unmöglich erklärt. Um aus der Not eine Tugend zu machen, griffen viele Galerien und einige Ausstellungshäuser während des Lockdowns auf das Format der Fenster-Ausstellung zurück und inszenierten Kunstwerke so, dass sie von außen durch die Scheibe besichtigt werden konnten.
Indem die Kunst sich eigensinnig zeigte, hat sie die tief sitzende Kränkung bearbeitet, in Krisenzeiten als nicht wichtig genug zu gelten. Wie sollten die Künste auch systemrelevant sein, wo ihre Relevanz seit Beginn der Moderne doch gerade darin besteht, nicht systemstützend zu sein, sondern Systeme aufzusprengen und kalkulierte Behaglichkeiten zu zerstören? Es ist ein paradoxes Glücksversprechen, das die Kunst einzulösen hat. Denn einerseits soll sie den Abstand zwischen Glück (man könnte auch Utopie sagen) und Realität ausmessen, andererseits hat sie den Ort der Autonomie und der Mündigkeit zu repräsentieren. Das Versprechen der Kunst ist selbst wie ein Fenster, das Drinnen von Draußen separiert und – obwohl es Räume trennt – Einsichten in betulich gefügte Ordnungen…