OUTSIDE IN
WIE SICH KALIFORNIENS EXPERIMENTELLES KINO SEIT JE AN HOLLYWOOD GEBUNDEN SIEHT
VON STEFAN GRISSEMANN
I. ESTABLISHING SHOT
Vielleicht waren es die angstgeweiteten Augen jenes willigen Jungschauspielers, der 1927 in The Life and Death of 9413, a Hollywood Extra auf der Leinwand wie ein groteskes Mahnmal erschien; vielleicht wurde da zum ersten Mal sichtbar, wie sehr der Abgrund nur ein paar Millimeter hinter dem Räderwerk des Entertainments zu gähnen beginnt, wie nah die Subversion der Form als Mittel liegt, um die zerstörerische Mechanik Hollywoods zu beschreiben. Zwei filmbesessene junge Immigranten imaginieren den naiven Untergeher, der als Filmstatist unter die Räder kommt, aus industrieller Innenperspektive: Der Cutter und Effects-Techniker Slavko Vorkapich aus Belgrad, nach dem Ersten Weltkrieg an die amerikanische Westküste emigriert, setzt gemeinsam mit dem Exil-Pariser (und kommenden B-Picture-Regisseur) Robert Florey und dem späteren Citizen-Kane-Kameramann Gregg Toland, der im Vorspann hemdsärmelig bloß „Gregg“ genannt wird, dem in voller Blüte stehenden Stummfilm etwas entgegen – eine 13-minütige, expressionistisch fantasierte Breitseite gegen das System, in dem sie alle arbeiten. Angesichts der großen Stadt – budgetschonend und sinnträchtig als Licht- und Schatten-Miniatur, als Spielzeuglandschaft repräsentiert – reagiert der arme Statist erst noch ekstatisch, bald aber nur noch depressiv; er wird in der Albtraumfabrik ab- und zugerichtet, im Inneren des Laufbildbetriebs entmenschlicht, bis der Tod den Menschen von der Maschine scheidet. Erst im glitzernden Jenseits wird die Kino-Humanressource ihre Nummer los und sucht befreit, die neuen Flügel schlagend, das Weite: ein Engel im Himmel über Beverly Hills.
Nein, man muss noch weiter zurück, ganz an den Anfang des…