Michael Hübl
Ostsee-Biennale 1992
Rostock, 4.7. – 23.8.1992
Rostock und die jüngste Ostsee-Biennale – wer denkt da noch an Kunst. Ein Fall für Soziologen und Feldforscher. Aber für Rezensenten? “Dieses Schandmal am Kröpeliner Tor wird von den Rostockern nicht als Mahnmal, sondern als Provokation angesehen, was die Gedemütigten noch mehr verletzt”1, meinten “unzählige Rostocker Einwohner”2 angesichts einer Reihe von zehn Stahlschuppen, die Raffael Rheinsberg im sogenannten Herzen der Hansestadt aufstellen ließ. Szenenwechsel. Rostock-Lichtenhagen, eine Nacht im August. “`Mecklenburg-Vorpommern ist das Armenhaus Deutschlands`, beschreibt einer der Umstehenden die Lage, da liegen die Nerven bloß”3: Den anonymen Analytiker plagt nicht die Kunst, er wirbt – willentlich oder nicht – um Verständnis für die Randale, mit der sich zunächst in Rostock, bald in ganz Deutschland der latente Terror gegen Asylanten und Ausländer heftig, plötzlich, aber voraussehbar Nacht um Nacht Bahn bricht.
Die offensichtliche Analogie zwischen zwei – allemal repräsentativen – Aussagen legt den, wie sich erweisen wird, falschen Schluß nahe, daß beide Äußerungen in gleichen oder doch zumindest ähnlichen ideologischen, sozialen und mentalen Strukturen gründen; immerhin sind Ort (Rostock), Zeitpunkt (Sommer 1992) und gesellschaftlicher Hintergrund (die Identitäts- und Wirtschaftskrise des postkommunistischen Zustands) in den beiden zitierten Fällen nahezu identisch. Daraus wäre zu folgern, daß sich – salopp formuliert – da wie dort, gegen Kunst wie gegen Ausländer, der typische Ungeist frustrierter “Ossis” Luft verschaffte. Nur: Beispiele wie die Reaktionen auf den Berliner Skulpturenboulevard (1987), wo insbesondere Olaf Metzels Arbeit “13.4.1981” Empörung auslöste, oder die antisemitischen Kritzeleien, mit denen in Münster Sol LeWitts “Black Form”4 überzogen wurde,…