Ort – Erinnerung – Architektur
von Jan Pieper
Der Erzähler von Gustav Meyrink’s “Golem”, jener merkwürdigen Geschichte des künstlichen Menschen aus der Werkstatt des Rabbi Low und des unheimlich lebendigen Judenghettos des alten Prag, die beide mit den wirklichen, lebendigen Menschen ihr Spiel treiben, macht eines Abends eine eigenartige Erfahrung. Während er im Eingang eines alten Hauses einen Regenguß abwartet und dumpf vor sich hin in die dämmerige Gasse blickt beginnt die Stadt, die Straße und der tote Stein selbst plötzlich zu leben. Mit leisem Gruseln liest man da über “die miß farbigen Häuser, die wie verdrossene alte Tiere im Regen nebeneinanderhockten”:
“Unter dem trüben Himmel sahen sie aus als lägen sie im Schlaf und man spürte nichts von dem tückischen, feindseligen Leben, das zuweilen von ihnen ausstrahlt, wenn der Nebel der Herbstabende in den Gassen liegt und ihr leises, kaum merkliches Mienenspiel verbergen hilft.
In dem Menschenalter, das ich nun hier wohne, hat sich der Eindruck in mir festgesetzt, den ich nicht loswerden kann, als ob es gewisse Stunden des Nachts und im frühen Morgengrauen für sie gäbe, wo sie erregt eine lautlose, geheimnisvolle Beratung pflegen. Und manchmal fährt da ein schwaches Beben durch ihre Mauern, das sich nicht erklären läßt, Geräusche laufen über ihre Dächer und fallen in den Regenrinnen nieder – und wir nehmen sie mit stumpfen Sinnen achtlos hin, ohne nach ihrer Ursache zu forschen.
Oft träumte mir, ich hätte diese Häuser belauscht in ihrem spukhaften Treiben und mit angstvollem Grauen erfahren, daß sie die eigentlichen, heimlichen Herren der Gasse seien,…