Markus Brüderlin
Ornamentalisierung der Moderne
Zur Geschichtlichkeit der abstrakten Malerei
Eine Kunstgeschichte der Moderne hat es dennoch nicht
gegeben. Sie ist auch gegenwärtig noch zu entwickeln.
Gottfried Boehm1
Versenkung in die geschichtliche Dimension müßte
aufdecken, was einst ungelöst blieb; nicht anders ist das
Gegenwärtige mit dem Vergangenen zu verknüpfen.
Theodor W. Adorno2
1986 tauchte im Zusammenhang mit einer umfassenderen Darstellung des aktuellen Phänomens der sogenannten Neuen Geometrie im KUNSTFORUM3 die Bezeichnung “Ornamentalisierung der Moderne” auf. Der Autor verband damit die Beobachtung, daß die neue Abstraktion der achtziger Jahre in eigentümlicher Weise darangegangen ist, das dynamisch-kompositorische Formenvokabular der Moderne anhand ornamentaler Formmentalitäten anzueignen. Mit dem “Hang zur Symmetrie” oder zur geometrischen Musterbildung wurden nur einige äußere Indizien für diese Beobachtung angeführt. Diesem Verfahren der ornamentalen Anverwandlung scheint aber nun eine längere Lebensdauer als die Halbwertszeit von Markttrends beschieden zu sein, so daß in einem folgenden Aufsatz zum Phänomen des “Iterativismus in der Abstraktion”4 1990 nach den tiefergehenden methodischen und konzeptionellen Leistungen gefragt werden konnte. Im Zentrum standen jene reflektierenden Konzeptionen abstrakter Malerei, die versuchen, wieder an den Diskurs der Moderne anzuknüpfen, aber durch die ornamentale Brechung gleichzeitig einen radikalen Zweifel an dem Projekt der Moderne anmelden. So provozieren die hübschen Punktbilder und parakonstruktivistischen Möbelskulpturen von John Armleder die Frage, ob die Avantgarde und ihr Anspruch einer universellen Lebensgestaltung nach Maßgabe abstrakter Formmöglichkeiten nicht gerade in der Ornamentalisierung ihre Erfüllung finden – freilich nicht so, wie sich die Pioniere dies in ihrem missionarischen Eifer vorgestellt hatten: die reine Gegenstandslosigkeit als ästhetischer Katalysator für die…