Gérard Raulet
Ornament und Demokratie
Das Ornament wurde von der Moderne aller möglichen Laster beschuldigt. Loos hat bekanntlich die Attacke dahin zugespitzt, daß er dessen Ursprung im magischen Gekritzel und in den Tätowierungen der primitiven Menschen sah und ornamentale Kunst als ein Verbrechen gegen den Fortschritt der menschlichen Gattung und der Vernunft interpretierte. Auch das gute Gewissen des Funktionalismus nährte sich nicht zuletzt von der Überzeugung, selber demokratisch zu sein, weil das Ornament, in prämodernen Weltanschauungen wurzelnd, sich am wenigsten eigne, dem Durchbruch des demokratischen Geistes, der insgesamt die moderne Geschichte kennzeichnet, zu entsprechen. Dagegen vertreten – mit demselben guten Gewissen – so gut wie alle Theoretiker der postmodernen Architektur die Ansicht, daß nur eine Architektur, die mit dem modernen und insbesondere mit dem funktionalistischen Bilderverbot bricht, dazu imstande ist, den architektonischen Beitrag zur Gestaltung der Lebenswelt zu resozialisieren, weil sich die Menschen nur mit einer Umwelt identifizieren können, die wieder an Bildern und Symbolen reich ist. In dieser Behauptung sehen wiederum die Kritiker der Postmoderne nur “Strategien des Vergessens”1 am Werk, eine “erpreßte Versöhnung”,2 welche die Defizite der Moderne bloß camoufliert und die Massen mit symbolischen Ersätzen versorgt, die den Verblendungszusammenhang der Warenästhetik noch verdichten. Der Historismus diene der Flucht nach vorne der Technik und des Profits als Rückendeckung, indem er die Massen dafür gewinnt, und mit Hilfe eines Eklektizismus, der zu allen spricht, einen gemeinschaftlichen Sinn billig rekonstituiert.
Die Kritik besteht zu Recht. Doch soll man auch fragen, ob dieser neue Umgang mit der Problematik der Identitätssuche nicht auch als…