Martin Blättner
On Kawara
»Horizontality/Verticality«
Lenbachhaus Kunstbau, München, 21.10.2000 – 14.1.2001
Wie lange braucht wohl ein Besucher, um den Ausstellungsraum von On Kawara im Kunstbau am Lenbachhaus zu durchqueren? 10 Minuten, mehrere Stunden oder einen ganzen Tag? Die Antwort scheint klar: Eben so viel Zeit, wie sich der mehr oder weniger aufmerksame und nachdenkliche Betrachter nimmt, um sich auf die Resultate einer Konzeptkunst einzulassen, die nicht vordergründig mit Ästhetik, aber sehr viel mit Erfahrungen von Raum und Zeit zu tun haben. Auch insofern wird im Kunstbau die Problematik einer unmittelbaren und existentiellen Zeit-Kunst (Siehe auch KUNSTFORUM Bd. 150/151) verstärkt bewusst gemacht, als durch die Glasscheibe der Kunsthalle das umtriebige Leben an einer U-Bahn-Station im Nervenzentrum Münchens zu sehen ist. An der langen Wand eines Museums, das offenbar Zeichen gegen die Reizüberflutung setzen will, reihen sich schier endlos die fotokopierten Stadtpläne der Orte, an denen sich On Kawara aufgehalten und Wegstrecken zurückgelegt hat. Einzig die rote Linie des Kugelschreibers, mit der der japanische Künstler nach einer schweren Identitätskrise Mitte der sechziger Jahre die täglichen Routen in der Werkreihe “I Went” (1968 – 1979) dokumentierte, heben sich vom kargen Einheitsgrau der freilich formal sehr unterschiedlichen Karten ab. Die oft labyrinthisch verschlungenen Straßen Europas oder Asiens oder die geradezu idyllisch überschaubaren Oasen Afrikas unterscheiden sich dabei wohltuend von den rasterförmig verplanten Städten der USA. Dem roten Faden gehört die Aufmerksamkeit: Wie verschlungen sind die Wege, die Kawara an diesem Tag gegangen (oder auch gefahren oder gar geflogen) ist? Wie weit ist er gekommen? (Für den…