Volker Hildebrandt, Hansaring 77, 5000 Köln 1
Offener Brief
Herrn Alfred Neven DuMont, Verlag M. DuMont Schauberg, Breite Str. 70, 5000 Köln 1
27.1.1989
Sehr geehrter Herr Neven DuMont,
gestern ließen Sie durch Ihre Anwälte der Karin Bolz Galerie die weitere Verbreitung meines Heftes “Bilder für Blinde” wegen der darin ohne Ihre Einwilligung reproduzierten Titelseite Ihres “EXPRESS” vom 19.8.1988 untersagen. Da für den Inhalt dieses Heftes ich die volle Verantwortung trage, werde ich auch die Konsequenzen meines Tuns übernehmen, als da wären zunächst einmal DM 1.105.- Gebühren für die von Ihnen initiierten anwaltlichen Aktivitäten.
Ich möchte Ihnen gerne ein paar Sätze zu meinem und, dadurch ausgelöst, Ihrem Vorgehen notieren.
Seit ein paar Jahren beschäftige ich mich mit “Bildstörungen” im zunächst engeren, mittlerweile erweiterten Sinne. Anfangs ausgehend von jener im Fernsehen, glaube ich heute, daß “Bildstörung” eine recht treffende Bezeichnung für vielerlei Phänomene unserer Zeit ist. Der Hunger nach visuellen Sensationen in einer bilderfressenden Zeit verlangt von den Bildproduzenten jeder Art raschen Nachschub an Bildmaterial. Bei der Jagd nach mehr und mehr und stets neuen Bildern müssen zwangsläufig die Grenzen des abbildbaren erweitert werden. Am gefragtesten sind dabei Bilder, die am besten für etwas anderes oder für sich selbst werben, somit größtmöglichen wirtschaftlichen Erfolg nach sich ziehen. Man könnte auch sagen, schützende und somit berechtigte Tabus sind selbstverständlich zu brechen, um die allgemeine Gier nach ständig neuen Spektakeln befriedigen zu können. In diesem Sinne möchte ich manche der heute vielfach veröffentlichten Bilder eher als “Bildstörung” bezeichnen.
Von einer Reise zurückkehrend geriet ich Ende August ’88 in die Nachwehen…