vorheriger
Artikel
nächster
Artikel
Gespräche mit Künstlern · von Michael Stoeber · S. 200 - 209
Gespräche mit Künstlern , 2010

Jason Dodge
No Ideas but in Things

Ein Gespräch von Michael Stoeber

Jason Dodge liebt die Porträts des Fotokünstlers August Sander. Vor allem den „Zauberer“. Ein unauffällig gekleideter, zarter Mann mit einem Koffer in der Hand, der alle Wunder enthält, die er auf der Bühne zeigt. Er ist ein Reisender, der uns das Staunen lehrt. Man könnte ihn für eine Identifikationsfigur des amerikanischen Künstlers halten, der 1969 in den USA geboren wurde und heute in Berlin lebt und arbeitet. Auch Dodge ist ein großer Verwandler. Er zeigt uns das Alltägliche und Banale, das unter seiner Hand wunderbare und rätselhafte Züge gewinnt. Seine schmetterlingsleichten, lakonischen Werke werden zur Initialzündung für die Vorstellungs- und Denkkraft des Betrachters, der die in ihnen angelegten Geschichten und Dramen weiter ausspinnt. Als Bildhauer arbeitet Dodge analytisch. So lässt er alle Lichtquellen aus einem Haus entfernen. In der Ausstellung sind sie dann wie in einem Archiv versammelt, während das Bild des dunklen Hauses Erinnerungen an Schauergeschichten in uns wach ruft. Die Rubine im Inneren einer toten Eule wecken ambivalente Gefühle von Glamour und Vanitas. Die kupfernen Gestänge einer frei liegenden Wasserleitung führen den Gedankenstrom des Betrachters zum Trinken wie zum Ertrinken, zu Tod und Leben. Auch sein vergoldeter Blitzableiter, obwohl nach Norden ausgerichtet, weist in viele Richtungen zugleich. Nicht anders als der Diamant, dessen Facetten sich im Spiegel weiter vervielfältigen. Er ist ein Emblem für den Reichtum an Sinndimensionen in den so präzisen wie poetischen Werke von Jason Dodge.

Michael Stoeber: Ich möchte Sie zuerst danach fragen, wie Sie zum Künstler geworden sind. Gab es da bestimmende Einflüsse? Menschen, die eine Rolle gespielt haben? Ihre Eltern, Freunde oder andere Menschen, die Sie bewunderten und die Vorbilder für Sie waren? Oder Schlüsselerlebnisse? Wie wurden Sie zum Künstler?

Jason Dodge: Mein Vater ist Künstler. Und so habe ich bereits sehr früh sehr viele Kunstausstellungen gesehen. Das hat mich beeindruckt. Von meinem Elternhaus dauert es eine Autostunde bis nach New York und eine Autostunde bis nach Philadelphia. Ich erinnere mich, wie ich als Kind im Philadelphia Museum hoch gehoben wurde, um durch ein Guckloch in einer Tür auf das dahinter liegende „Etant donnés“ von Marcel Duchamp zu schauen. Das vergisst man nicht als Kind. Heute –kann ich es zusammen buchstabieren, damals hat mich das Werk als Rätsel durch meinen Alltag begleitet. In New York habe ich mit meinen Eltern immer wieder Kunstgalerien in Soho und im East Village besucht. Ich erinnere mich an Ausstellungen, die ich damals gesehen habe und die heute als historische bewertet werden, wie die erste Jeff Koons Schau mit ihren Staubsaugern und Basketball-Bällen in Containern. Außerdem haben wir viele Konzerte besucht, und ich habe Cello gespielt. Ich hatte Glück. Ich komme aus einem sehr kunstsinnigen Elternhaus.

Wie alt waren Sie, als Sie „Etant donnés“ zum ersten Mal sahen?

Da war ich vier Jahre alt. Wahrscheinlich habe ich es schon vorher gesehen. Aber daran kann ich mich nicht erinnern. Damals sind meine Eltern und ich für zwei Jahre nach Italien aufgebrochen, und ich weiß noch, dass ich auf der Schiffreise über das Werk nachdachte. Da war ich fünf Jahre alt. Die Reise war ein Einschnitt. Ich weiß, was vorher war und was danach.

War Italien für Sie prägend?

Sehr. Zur modernen kam die alte Kunst. Ich habe damals übrigens nicht ein einziges arte povera Werk gesehen, obwohl wir in den siebziger Jahren dort waren. Aber das interessierte meinen Vater nicht. Er hatte nur Augen für die klassische Kunst, vor allem für die Maler und Bildhauer der Renaissance. Und das waren auch für mich sehr inspirierende Erfahrungen. Vor allem Rom hat mich beeindruckt. Die Pracht seiner Kirchen, der Glanz der Gottesdienste, die Begegnung mit dem Katholizismus.

Weil der Katholizismus im Gegensatz zum Protestantismus so bildmächtig ist?

Ganz genau.

Hat die Begegnung mit dem Katholizismus, seinen Ritualen, seiner Prachtentfaltung, seinen Erzählungen auch mit Ihrer Hinwendung zur Kunst zu tun?

Ich glaube schon. Ich habe den Katholizismus in Rom wie eine künstlerische Sprache erlebt. Als ein farbenprächtiges Schauspiel mit einer faszinierenden Hierarchie, in der alles etwas bedeutet. Die Quäker, die ich in den Staaten kennen gelernt hatte, sind dagegen in ihrer auf sich selbst bezogenen Religion und ihrer individuellen Gottsuche beinahe autistisch. Der temporäre Umzug nach Italien hat mich, so glaube ich, in meiner Jugend nachhaltig geprägt. In eine Welt einzutauchen, die nicht die eigene ist, gibt einem die Chance, auch das, was einem zugehörig ist, mit anderen Augen zu sehen und nicht mehr für selbstverständlich zu halten. Daher ist es bis heute für mich eine Quelle der Inspiration, in einem Land zu leben, das nicht mein Geburtsland ist.

War das auch der Grund für Sie nach Berlin zu gehen und dort zu leben und zu arbeiten?

Ja. Ich habe meine Frau in Dänemark kennen gelernt. Sie ist Dänin. Und nach einigen gemeinsamen Jahren in Kopenhagen beschlossen wir, in einem Land zusammen zu leben, aus dem keiner von uns beiden kommt. Zuerst waren wir in Antwerpen. Meine Frau entwirft Mode, was mich auch sehr interessiert, und Antwerpen ist eine äußerst lebendige Modestadt. Das war sie schon immer, wie in den Bildern von Memling und van der Weyden sichtbar ist. Aber Berlin bot uns beiden dann am Ende doch bessere Arbeits- und Lebensbedingungen. So sind wir nun schon seit sieben Jahren dort.

Haben Sie Kinder?

Ja, eine dreieinhalbjährige Tochter, und das zweite Kind ist unterwegs. Für eine Familie mit kleinen Kindern ist Berlin absolut wunderbar. Es macht Spaß, dort zu leben.

Sie sagten, Ihr Vater sei Maler. Hat sich Ihre Kunst in Auseinandersetzung mit der seinen entwickelt oder hat sie keine Bedeutung für Sie gehabt? Wie malt ihr Vater?

Was er als Künstler tat, hat mich immer fasziniert. Es ging mir dabei aber stets mehr um das Zuschauen. Darum, wie etwas entsteht. Weniger um das besondere Bild. Ich liebe es überhaupt, Menschen bei ihrer Arbeit zuzusehen, ohne dass sie es merken. Sehen, wie etwas Gestalt gewinnt. Das ist grandios, finde ich.

Der kreative Akt an sich reizt Sie?

Ja, so ist es. Ich liebe es, Menschen bei Ihrer Arbeit zu beobachten. Es ging mir also in erster Linie darum, meinem Vater beim Malen zuzusehen. Ich finde bis heute, dass es eine große Affinität zwischen meinem Vater und mir gibt, in der Art, wie wir Dinge anpacken. Auch wenn mein Vater das wahrscheinlich nicht so sieht. Es gibt da eine ähnliche Methodologie, obwohl unsere Kunst völlig unterschiedlich ist. Mein Vater malt abstrakt konstruktive Bilder.

Wie würden Sie Ihre eigene Kunst beschreiben. Sehen Sie sich als Bildhauer, Objektmacher, Installationskünstler, Erzähler, Bühnenbildner?

Ich denke, ich bin ein Bildhauer. Ich weiß, dass das ein weites Feld ist. Aber ich sehe, was ich tue, in der Tradition von Heidegger, wenn er über das Ding nachdenkt. Für uns sind Dinge gemeinhin Gegenstände zum Betrachten, Verfügen und Verbrauchen. Nicht so für Heidegger. Für ihn besitzen sie ein Eigenleben. Er schlägt vor, die Welt nicht vom Ich, vom Subjekt, sondern von den Dingen, vom Sein her zu verstehen. In dieser Perspektive liegt das Ding nicht einfach passiv da, sondern hat ein Eigenleben. Es ist aktiv und trägt in gewisser Weise unsere menschlichen Angelegenheiten aus. Mir geht es darum, morgens aufzustehen und mich darauf zu konzentrieren, was mir die Dinge zu sagen haben, und zu erkennen, welche Kraft und Bedeutung sie entfalten können. Welche Potentialität sie haben. Das ist das Ziel meiner Kunst. Oft habe ich das Gefühl, es gelingt mir nur unvollständig. In einer wundervollen Gedichtzeile, die ich sehr liebe, heißt es: „Ich kenne die Konzentration nicht, denn ich missverstehe sie als Kurzsichtigkeit.“ Man denkt bei der Zeile an Nadel und Faden und wie jemand sie nahe an die Augen führt, um den Faden in das Nadelöhr einzuführen. Konzentration oder Kurzsichtigkeit? Ist das nicht eine ganz erstaunliche Überlegung? Beim Versuch, über die Dinge nachzudenken, geht es mir darum, zwischen Kurzsichtigkeit und Konzentration zu unterscheiden.

Eine schöne Antwort. Und wie beschreiben Sie jemandem, der nichts von Kunst und Philosophie versteht, was Sie als Künstler machen?

Oh, darin habe ich Übung. Das muss ich laufend tun, seit meine Tochter im Kindergarten ist. Ich sage der Person, dass ich auf Dinge schaue und versuche herauszufinden, was für eine Bedeutung sie haben und welche Bedeutung ich ihnen als Künstler geben kann. Und wenn mich jemand fragt, der mit Kunst überhaupt nichts am Hut hat, erzähle ich ihm Geschichten über meine Arbeiten. Zum Beispiel, wie es ist, in einem Flugzeug über den Wolken und damit über dem Wetter zu fliegen. Dann durch die Wolken zu stoßen, in das Wetter einzutauchen und zur Erde zurückzukehren. An die Höhe und Distanz zu denken, die man dabei bewältigt. Und sich dann einen Faden in der Länge jener Entfernung, also etwa 12 000 m, zu einer Decke verweben zu lassen, wobei die Weberin mit ihren Fingern bei ihrer Arbeit die ganze Strecke zurücklegt. Oder einen Schornsteinfeger zu veranlassen, eine Glocke an seine Besen zu hängen, sodass man während seiner Arbeit ihren Klang im Kamin hört. Davon kann man dann den Menschen im Viertel erzählen, die den Mann so von einer anderen Seite her kennen lernen. Für mich ist wichtig, dass der Betrachter meiner Arbeit die Wirklichkeit in neuen Facetten erfährt.

Wie wichtig ist denn der Betrachter, um Ihre Werke zu ergänzen und zu vollenden? Um einen Erzählfaden, den Sie ihm bieten, weiterzuspinnen?

Eine sehr gute Frage! Der einzige, der meine Arbeiten wirklich kennt, ist derjenige, der sie mit mir produziert: die Weberin, der Kaminkehrer etc. Wenn ich jemanden bitte, seine Hosentasche für mich auszuschneiden, seine Tauben für mich auf die Reise zu schicken oder was auch immer, weiß er allein, ob er meine Handlungsanweisungen korrekt ausgeführt hat. Eine Frage, die in Bezug auf meine Werke immer gestellt wird, ist die nach ihrer Wahrheit. Stimmt das auch alles, was in der Beschreibung gesagt wird? Die Koproduzenten allein wissen das. Sie sind die ersten Betrachter der Werke. Dann kommen die anderen Betrachter, zu denen in gewisser Weise auch ich selbst gehöre. Denn ich liefere zwar die Idee, führe sie aber in der Regel nicht aus. Diese Betrachter teilen sich in diejenigen, die meine Werke schlicht übersehen, weil sie ihnen nichts sagen, und in diejenigen, denen sie eine ganze Welt bedeuten. Dasselbe Ding gibt Veranlassung zu unterschiedlichen Deutungen. Definiert durch Temperament und Mentalität desjenigen, der darauf schaut. Inspiration ist auch Kreation. Etwas zu lesen oder anzuschauen und sich davon bewegen zu lassen ist ein kreativer Akt. Wenn ich etwas schaffe, und der Betrachter sich davon bewegen lässt, ist das fantastisch. Aber dabei verliere ich zwangsläufig mein Deutungsmonopol. So werden meine Arbeiten immer wieder in Relation zu Märchen und Fabeln gelesen, die mir aber für mein Werk nicht das Geringste bedeuten.

Sie arbeiten mit Gegenständen des Alltags. Sehen Sie sich als Bildhauer in der Tradition des Duchampschen objet trouvé assisté, des veränderten Readymade?

Nein. Ich arbeite häufig ja gar nicht mit gefundenen, sondern mit hergestellten Gegenständen. Und wenn es Readymades sind, dann kommen sie aus einem bestimmten Kontext. Es geht mir nicht um irgendeine Tasche, sondern um eine spezifische Tasche. Nicht um irgendein Kissen, sondern um ein spezifisches Kissen. Ich bin nicht an der Ikonizität des Gegenstandes interessiert, sondern an seiner Spezifizität. Ich erinnere mich in dem Zusammenhang, wie ich als Kind Chruschtschows Schuh im Museum sah. Es war ein weicher amerikanischer Schuh, von denen er sich in Amerika eine Menge gekauft hatte. Der allerdings, mit dem er in der UNO seinen Protest auf den Tisch vor sich geprügelt hatte, war ein harter russischer Lederschuh gewesen. Jahre hat es mich gestört, dass im Museum nicht der richtige Schuh lag. Denn nur der war auch der richtige für die Geschichte. Nur er speicherte wahrhaft die Affekte, die Wut und den Zorn, das Ungehobelte und Unzivilisierte seines Auftritts. Natürlich stehe ich auch in der Tradition von Duchamp, aber was ich von ihm ausgehend kommunizieren möchte, ist die Idee, dass die Dinge eben nicht zufällig gefunden werden, sondern innig mit uns und unserem Leben verbunden sind.

Welcher andere Künstler ist für Ihr Werk noch wichtig geworden?

Ganz wichtig und eine große Quelle der Inspiration für mich ist August Sander, der Menschen nach ihren Berufen klassifiziert und fotografiert hat. Sie können auf seinen Bildern endlose Entdeckungen machen und Geschichten mit ihnen verbinden.

Das gemeinsame Element des Narrativen zwischen Sander und Ihnen leuchtet mir unmittelbar ein. Dennoch hätte ich nicht gedacht, dass Sander so wichtig für Ihr Werk ist. Könnten Sie mir das bitte etwas näher am Beispiel Ihrer Arbeiten erläutern?

Denken Sie an das Werk „Höhenordnungen“: Fünf Personen mit unterschiedlichen Berufen wurden gebeten, eine Tasche aus ihrer Hose zu schneiden. Und jeder von ihnen, der das tut, der Pilot, der Fensterputzer, der Akrobat, der Balletttänzer, der Richter, jeder von ihnen arbeitet auf unterschiedlicher Höhe. Da haben Sie die Idee, die Menschen nach dem zu unterscheiden, was sie tun und wie sie es tun. Mit ihren Händen, ihrem Körper, ihrem Geist. Und wie ihr Tun ihre Identität ausbildet in der Welt, in der sie leben. Das finde ich faszinierend. Wir leben in so komplexen und interdependenten Verhältnissen. Daher interessieren mich auch Gas, Wasser und Elektrizität und wie sie sich mit politischen, wirtschaftlichen und privaten Strukturen verbinden. Das ist ja in meinen Arbeiten sehr deutlich. Denken Sie an „Dein Tod, unter Wasser“, die ans Wasser angeschlossenen Kupferrohre, oder an „Deine beweglichen und unbeweglichen Teile“, der Elektroofen in der Ausstellung. Allein sich vorzustellen, wo der Strom herkommt, der in Deutschland unsere Wohnungen heizt und beleuchtet. Tagsüber von einem russischen, nachts von einem niederländischen Elektrizitätswerk. Unglaublich, oder? Wir leben in einer Welt voller Konstruktionen. Und Menschen mit bestimmten Berufen bauen sie auf.

Gut, die „Höhenordnungen“ überzeugen mich, aber …

Na, oder „Die Ärzte schlafen“. Die Kissen, auf denen ausschließlich Ärzte geschlafen haben. Sie beziehen sich expressis verbis auf eine bestimmte Profession und auf das, was sie tut. In der Nachbarschaft dieser Arbeit ist das Werk aus Strom, der durch eine Stimmgabel läuft. Berühren wir sie, erhalten wir einen Elektroschock. Die Bedrohung weitet sich zum Motiv des Todes aus in der Arbeit mit den vergifteten Flöten. Alle Werke der Ausstellung haben in irgendeiner Weise mit Berufen zu tun. So wie unsere ganze Welt von Menschen mit Berufen konstituiert wird. Das ist nur eine Frage der Perspektive. Die Arbeit von August Sander, die ich am meisten liebe, ist „Der Zauberer“. Ein kleiner Mann mit einem Koffer. Schaut man ihn an, denkt man nie im Leben an einen Zauberer. Aber sofort an eine Arbeit von August Sander.

Diese unverwechselbare Qualität zeichnet auch Ihre eigenen Werke aus. Sie sind auf Dinge konzentriert. Der Mensch ist in ihnen ausschließlich metonymisch vorhanden. Ihre Werke sind minimalistisch, offen und auf den ersten Blick rätselhaft. Einerseits besitzen sie eine formale und inhaltliche Strenge, andererseits sind sie von poetischer Vieldeutigkeit. Gibt es einen Dichter, der von ähnlicher Bedeutung für Sie und Ihr Werk ist wie der Fotokünstler August Sander?

Es gibt verschiedene Dichter, die mir wichtig sind. Und obwohl die Dichtung ein völlig anderes Medium ist als die Bildhauerei, hat sie sicherlich auch Einfluss auf meine Kunst, weil sie mein Verhältnis zur Sprache bestimmt und damit auch meine Art zu denken. Eine Dichterin, die ich sehr bewundere, vor allem für ihre Sprachökonomie, ist Gertrude Stein. Sie hat für mich eine ähnliche Bedeutung wie Marcel Duchamp. Beide sind eine andauernde Quelle der Inspiration für mich.

Eine Ausstellung, die Sie kuratierten, trug als Titel ein Gedicht von William Carlos Williams. Jeder, der sich auf die Ausstellung bezog, hatte die dreizehn Zeilen des Gedichtes zu repetieren.

Ja, auch Williams ist in der Tat ein sehr wichtiger Dichter für mich. Vor allem sein Credo: „No Ideas but in Things.“ Dass in den Dingen bereits alles steckt.

Diese Maxime könnte man auch als Programm Ihrer Kunst verstehen.

An Williams bewundere ich, wie er die Alltagssprache für seine Kunst fruchtbar macht. Er benutzt Wörter wie Dinge. Und sie entwickeln in seinen Gedichten einen eminenten Hallraum. Außerdem hat man bei der Lektüre stets das Gefühl, unmittelbar von ihm angesprochen zu werden. Vielleicht weil er als Arzt arbeitete. Immer wieder begegnete er Menschen in Not, Elend und Schmerz, was sicher seinen Blick für das Wesentliche schärfte. Jedes Kind in Amerika kennt seine Verse: „I have eaten/the plums/that were in the icebox//and which/you were probably/saving for breakfast//Forgive me/they were delicious/so sweet/and so cold.” Ganz schlicht – und alles ist da. Der Duft der Pflaumen, der Diebstahl, die laue Entschuldigung. Ganz wunderbar! Gedichte sind für mich eine fort dauernde Quelle der Inspiration. Bestimmte Verse bewege ich ständig in meinem Kopf. Ein anderes Gedicht von Williams lautet: „so much depends/upon//a red wheel/barrow//glazed with rain/water//beside the white/chickens.“ Als ich es las, wurde mir klar, wie wichtig die Überlegung ist, die darin angestellt wird. Als Bildhauer stellt sich für mich dabei das Problem der Transformation. Ich will den Gedanken in etwas verwandeln, das sich im Raum behauptet.

Titel spielen eine wichtige Rolle in Ihrem Werk. Man kann sich kein Werk von Ihnen ohne Titel vorstellen. Sprache ist ein essentieller Teil Ihrer Werke. Ist sie nicht auch plastischer Stoff für Sie?

Sie berühren da etwas Elementares. Tatsächlich habe ich während der letzten Jahre auch selbst geschrieben. Gedichte. Um mir über die Dinge klarer zu werden. Und manchmal bringt mich diese Tätigkeit zu plastischen Werken. Und umgekehrt spielt in meinen Arbeiten die Sprache in Form der Titel eine wichtige Rolle, weil sie einen Resonanzraum darstellt, der den Dingen, die gezeigt werden, eine spezifische Richtung gibt. Nicht restriktiv, sondern offen. Aber doch eine Richtung, in die sich der Betrachter bewegen kann, ohne dass ihm ein klares Ziel vorgegeben würde, auf das hin er fühlen oder denken müsste.

Ihr schöner Katalog der hannoverschen Ausstellung versammelt Werkbetrachtungen, Gedichte und diskursive Texte. Strukturiert wird er durch eine immer wieder auftauchende Stimmgabel. Wie wichtig ist Ihnen neben dem theoretischen und poetischen Element für Ihre Kunst die Musikalität?

Sehr wichtig. Die Stimmgabel ist eine Metapher für die Gestimmtheit eines Werkes und einer Ausstellung. Ganz so, wie sie das A vorgibt für die Violine und diese dann den entsprechenden Ton für das Orchester. Form und Idee eines Werkes und einer Ausstellung müssen sich harmonisch miteinander entwickeln. So wie in meiner Arbeit, in der Strom durch eine Stimmgabel fließt und zugleich eine Glühbirne erleuchtet, zwei Systeme miteinander synchronisiert werden. Im Kunstverein Hannover habe ich darauf geachtet, dass jeder Raum mit meinen Werken einen anderen Charakter hat, einen anderen Klang und auch ein anderes Licht.

Man geht durch die Ausstellung wie durch eine Partitur.

Ja, das war mir wichtig.

Übersetzt aus dem Amerikanischen von Michael Stoeber
Jason Dodge
geboren 1969 in Newton, Pennsylvania, lebt und arbeitet in Berlin
Einzelausstellungen (Auswahl)
1998 Casey Kaplan New York, 1999 Art Statements Messe Basel, Moderna Museet Stockholm, 2000 Taka lshii Gallery Tokyo, 2002 c/o Atle Gerhardsen Berlin, 2004 Orange County Museum of Art, Villa Arson Nizza, 2006 Esther Schipper Berlin, 2008 Lüttgenmeijer Berlin, One One One London (mit Tereza Buskova), 2009 Yvon Lambert Paris, 2010 La Galerie Noisy-le-Sec, Kunstverein Hannover
Gruppenausstellungen (Auswahl)
1995 ICA Boston, White Columns New York, 2000 Moderna Museet Stockholm, Galerie für Zeitgenössische Kunst Leipzig, 2001 SMAK Gent, 2003 Frankfurter Kunstverein, Bonner Kunstverein, 2004 Swiss Institute of Contemporary Art New York, Kunstverein in Hamburg, Artists Space New York, 2005 Kunst-Werke Berlin, Kunsthalle Rostock, Ursula Blickle Stiftung, 2006 The Breeder Athen, Witte de With Center for Contemporary Art Rotterdam, 2007 Leo Koenig Inc New York, Wallspace New York, Kadist Art Foundation Paris, 2008 Uovo Open Space Basel, Biennale of Contemporary Art Le Havre, Tulips & Roses Vilnius, 2008 Malmo Art Museum Malmo, 2009 Walker Art Center, Färgfabriken Stockholm
Preise und Stipendien
1995 Schickle Collingwood Prize, Yale University, 1996 Fannie B Pardee Prize, Yale University, 1999 IASPIS, International Artists’ Studio Program Stockholm, 2004 Villa Arson Residency Nizza, 2005/06 Ars Viva