Berlin
Nina Canell
Tectonic Tender
Berlinische Galerie – Museum für moderne Kunst 30.04.–29.08.2022
von Peter Funken
„Muscle Memory“ – so der Titel der zentralen Arbeit inmitten der großen, hohen, somit an ein Kirchenschiff erinnernden Ausstellungshalle. Diesem Raum hat Nina Canell einen 25 m langen, 6 m breiten und 3 m hohen Raum eingeschrieben: hergestellt aus Gipskartonplatten, gehalten von Alu-Metallprofilen und an den Wänden der Halle fixiert durch Schraubzwingen. Dieser rechteckige Raum besitzt 3 Türöffnungen, gerundete Ecken, einen neutralen hellgrauen Anstrich, keine Decke dafür aber auf dem Boden eine dicke Schicht von Muscheln: solche wie wir sie von Nord- und Ostseestränden kennen. Insgesamt sind es 7 Tonnen über die wir, so möchte es die Künstlerin, gehen sollen, so dass sich über die Dauer der Ausstellung unter dem Gewicht der Menschen aus den zerbrechlichen Muschelschalen langsam, aber sicher das feine Material bildet, das in Verbindung mit anderen Werkstoffen benötigt wird, damit wir unsere Architekturen und Städte, die immer größer, höher und waghalsiger geraten, aus Beton bauen können.
Beim Gehen über den Teppich aus Muschelkalk entstehen Geräusche – es knirscht, knackt und raschelt und tatsächlich, an den Ein- oder Ausgängen sind die Muscheln bereits fein zu Kalk zermahlen. Es entsteht ein Gefühl zwischen dem Fuß und der toten Materie, die keinen rechten Halt geben will; Schritt und Klang ergänzen sich, denn obwohl die Muscheltiere längst verwest sind, steckt in ihren Behausungen, den Schalen noch immer etwas von ihrem Leben, und das wird hörbar, wenn wir darüber gehen und aufmerksam sind. Anders als die Bauindustrie, die Bio-Mineralien nur…
