Niedlich bis in den Abgrund
Von Elena Korowin
Donna Haraways „Manifest für Gefährten“ (2016) beginnt mit einem Kuss. Der Austausch von Körperflüssigkeiten zwischen der Autorin und ihrer Hündin führt zu einer Vermischung ihrer DNA und ist mitunter als Kritik Haraways an der Domestizierung und Infantilisierung des Hundes durch den Menschen zu verstehen, dem ein neues Denken und Ausleben der Tier-Mensch-Konstellation entgegengesetzt werden soll.1 Carolee Schneemann [04] küsste ihre Katzen und hielt diese expliziten Annäherungen seit 1981 in farbigen Nahaufnahmen ihrer Serie „Infinity Kisses“ fest. Umgeben von Kissen, mit zerzausten Haaren tauscht die Künstlerin leidenschaftliche Küsse mit ihren Haustieren aus. Die Aufnahmen wirken anziehend und abstoßend zugleich, die Katzenfrau lässt uns an ihrer Leidenschaft teilhaben und verschiebt die liebevolle Interaktion zwischen Mensch und Katze vom Niedlichen ins Abschreckende. Die pornografisch anmutenden Darstellungen hat Schneemann 2008 in der Videoarbeit „Infinity Kisses – The Movie“ vereint, mit elektrischem Sound und Katzenschnurren unterlegt. Sie verband zwei dominante Suchkriterien des Internets, Katzenvideos und Pornografie, noch vor dem eigentlichen Klimax des #catcontents im Internet und entzog damit der Niedlichkeit den Boden.2
In neun Minuten wird eine zärtliche Mensch-Katze-Beziehung in einer Slideshow aus 124 Aufnahmen abgebildet, die auf dem geteilten Bildschirm jeweils ganz und als vergrößertes Fragment zusammengeführt werden. Andere Künstler*innen, die mit Bewegtbild arbeiten, haben ebenfalls das Katzenvideo vor dessen Popularität im Internet für sich entdeckt. So haben etwa Peter Fischli und David Weiss [03] die Niedlichkeit der Katze eher ein passant eingefangen als sie ein Close-Up von „Büsi (Kitty)“ (2001) filmten, die mehrere Minuten Milch aus ihrer Schale…
